Anne Briggs – The Time Has Come :: Hochkarätiges Album der britischen Folk-Heroine
Zu einer Zeit, als das Wünschen noch half, gab es in den oberen Etagen der Major Companies tatsächlich Entscheidungsträger, die der Auffassung waren, dass man manche Nischen nicht so vielbewunderten Firmenchefs wie Jac Holzman oder Chris Blackwell tatenlos überlassen dürfe, sondern da selber auch aktiv werden und neue Talente finden und fördern müsse. So kam Annie Briggs, in den 6oer Jahren eine Galionsfigur des Folk-Revival in England, aber so gut wie nie im Studio für Aufnahmen, weil sie dieses ganze Ambiente als entsetzlich beklemmend empfand, 1971 zu einem Vertrag mit CBS. Empfohlen hatte sie Pentangle-Manager Jo Lustig, und CBS-Manager Richard Robinson erwartete daraufhin ähnlich zeitgenösssches Liedgut wie „Basket Of Light“, mit dem es besagte Folk-Rock-Truppe bis auf Platz 5 der LP-Hitparade gebracht hatte.
Das bekam er auch, allerdings wohl anders, als er sich das mutmaßlich gedacht hatte. Nur ein Song, das Traditional „Standing On The Shore“, knüpfte nahtlos an ihre Folkie-Vergangenheit an. Bei den anderen wahrte sie eine rare und ganz delikate Balance zwischen Tradition und Moderne. Wobei der Titelsong des Albums schon in Aufnahmen vom langjährigen Kollegen und freundlichen Mentor Bert Jansch, aber auch von Alan Price und Pentangle vorlag, während Moderne meint, dass andere an frühe Simon & Garfunkel, aber auch aktuellen Nick Drake gemahnten und so was wie „Sandman’s Song“ vom selben Kaliber war wie ein Jackson C. Frank-Klassiker: zum Rotz-und-Wasser-Heulen schön! Was im übrigen hier auch und vor allem für die zur Bouzouki gesungenen Lieder gilt. Wie weit sie an der Gitarre von Bert Jansch beeinflusst war, hört man bei „Tangled Man“, einem ihrer absoluten Lieblingssongs der Platte.
Wieso sie sich von der schon zu distanzieren begann, als die noch gar nicht raus war und die Songs davon live auch in der „John Peel Show“ sang, ist nach wie vor verwunderlich. Aufgenommen im Marquee Studio, störte sie sich an der Produktion hier. Was ein wenig absurd erscheint, denn der „Produzent“ war Colin Caldwell – der Toningenieur am Mischpult-, und der hatte im herkömmlichen Verständnis überhaupt nichts „produziert“, sondern nur gewissenhaft seinen Job getan. Wie gut, hört man erstmals zur Gänze bei dieser CD des winzigen, in San Francisco ansässigen Indie-Labels Water Records. Die in der Rewind-Serie 1998 von CBS schon mal veröffentlichte Uberspielung klingt vergleichsweise so grottenschlecht, dass man sich entgeistert fragen darf, was für eine miserable Kopie damals in London für das Mastering benutzt wurde.
Da „The Time Hau Come“ unter den hochkarätigen Folk-Raritäten jener Jahre keinerlei Patina angesetzt hat und immer noch zu den eindrucksvollsten Platten gehört, lohnt es sich, nach diesem Album bei einschlägig gut bestückten Importeuren zu fahnden. Oder bei einschlägig bekannten Versand-Diensten.