Babyshambles – Down In Albion

Pete gab mir die Platte persönlich. In Paris, ich hatte eben das Pasteten-Bistro in der Rue Charles verlassen, als ich den schief gefalteten Zettel in meiner Tasche bemerkte. Einen Zettel mit einer komisch gezeichneten Rose und dem Hinweis, ich solle um 17 Uhr am Paßbildautomaten in der Metro-Station Bois de Boulogne sein. Pete war pünktlich, sogar die Haare sahen verdächtig gut gekämmt aus, und als ich meine Verwunderung darüber aussprach, zischelte er aggressiv. Einen Moment später glänzten die Augen wieder wie die eines kleinen Vogels, er erklärte mir „Down In Albion“. Ich fragte etwas zurück, aber statt einer Antwort begann er, „Tous Les Garcons Et Les Filles“ von Francoise Hardy zu singen.

„La Belle Et Le Bete“ (falsches Französisch) ist das Stück auf „Down In Albion“, das man am häufigsten hören wird, denn es ist das erste: Kate Moss singt die heiser-schiefe Zeile „Is she more beautiful than me?‘, die – kein blöder Kokain-Witz – natürlich aus „Schneewittchen“ stammt. Ein Piraten-Pop-Lied mit einer Melodie (man kennt sie aus „The Man Who Would Be King“ von den Libertines), die wie die Totenkopf-Fahne flattert, die spindeldürre Gitarre setzt ein und aus, beunruhigend. Das Schlagzeug haut auf Knochen, und ein Säuferchor singt „La la la“.

Babyshambles bedeutet, wenn man es zusammenschreibt: kleines Chaos. Wenn man es auseinanderschreibt, Baby Shambles, heißt es: Das Baby watschelt.

Peter Doherty wurde ganz bestimmt am 12. 3. 1979 in Hexham/England geboren. Er hatte vier Einser im Abitur. Er veröffentlichte 2002 mit der Band The Libertines seine erste Single „What A Waster“. Die Libertines lösten sich Ende 2004 auf, unter anderem weil Pete Dohertys Drogensucht die Arbeit im bewährten Viererbund unmöglich machte. Er hatte schon eine neue Band namens Babyshambles gegründet.

„Fuck Forever“, das zweite Stück auf „Dcwn In Albion“, ist ein Stadion-Rock-Lied für Orte, die zu klein oder feuerpolizeilich zu bedenklich sind, als daß es dort ein Stadion geben könnte. Ein „I Love Rock’n’Roll“ aus Blech. „Fuck forever, if you don’t mind“, singt er, und: „Happy endings, they still don’t bore me.“

Doherty singt ‚wie ein kleiner Junge, ein Peterle. Und wie ein lallender alter Mann, ein alter, blauer Peter. Er weigert sich, ein Entertainer zu sein, und kann von Glück sagen, daß viele (auch viele eklige Leute) genau das unterhaltsam finden. Er hat kein Selbstmitleid, aber Verfolgungswahn. Er macht Wanderlieder für die Stadt. Er will offenbar nicht Kurt Cobain sein, lieber Lord Byron.

Nein, es war alles ganz anders. Das war gar nicht in Paris, das war in Brighton, am Abend, als das Babyshambles-Konzert ausfiel, obwohl die Garderobenfrau der Bingohalle und der Wirt des „Green Horse“ aussagten, Pete gesehen zu haben, in schlechtem Zustand. Zum Treffpunkt kam nur ein geschätzt 16-jähriges Mädchen in Punk-Jacke und Mieder, das mir die CD gegen einen 50-Pfund-Schein aushändigte. „Diggles braucht doch Geld“, wisperte sie. „Was denken Sie, wieso er die Platte überhaupt gemacht hat?“

Vor allem die Mädchen heben die Arme hoch zur Discokugel, wenn „What Katie Did“ von den Libertines gespielt wird und träumen dann davon, jetzt bei Pete zu sein, ihrem kleinen Piraten, dem verstrubbelten, verlorenen Quak-Fred, der „Shoop-de-lang-a-lang“ singt.

„What Katy Did Next“, das elfte Stück, ist das arithmetische Mittel aus einem mißglückten Reggae und einem mißglückten Fifties-Schlager, ein grandioses Lied natürlich, das sich in drei Minuten mehrfach selbst widerspricht: „There’s a lesson I have learned/ If you play with fire you will get burned“, dann: „I may never learn, you never know“. Röchel.

Als Mötley Crüe 1985 das Album „Theatre Of Pain“ machten, waren die Musiker so auf Drogen, daß sie von der Musik wenig mitbekamen. Man hört es der Platte nicht an. Es ist also grundsätzlich falsch, vom Sound einer Platte auf das Befinden des Künstlers zu schließen.

Jeder Akkord der Babyshambles zögert, bevor er kommt. Eine zärtliche Unordnung. Und auf „Pentonville“, einem bizarren Reggae mit Dohertys ehemaligem Mithäftling The General, hört man mal, wie sich eine Gitarre dagegen wehren kann, gespielt zu werden. Der Pub-Rock-Beat aus der Kiste des toten Mannes klingt nicht nach Kraft. Deshalb wirkt „Down In Albion“, als sei es irgendwie angeknackst und unfertig.

Nein, nein, es war alles alles ganz ganz anders. In Wahrheit bekam ich „Down In Albion“ von der deutschen Plattenfirma Sanctuary geschickt, mit der Bitte, die Musik auf keinen Fall ins Internet zu stellen. Aber, ach, da stand sie schon.

„Albion“, das zwölfte Stück, ist der Pete-Song, den sie noch singen werden, wenn wir alle nicht mehr da sind. Die Art von kleiner Hymne, Trinklied, Heullied, Wandergitarrenlied, Liebeslied. „Albion“ erzählt von der Schönheit des Dableibens – mit Gin in Teetassen, Blättern auf dem Rasen, vergilbenden Büchern – und der des Weggehens, nach Deptford, Mansfield, Newcastle, alles Orte unter der englischen Sonne, die auf Dohertys helle Pigmente scheint, und das mag er. Die Hälfte dieser Orte gibt es sicher nicht.

„Down In Albion“ ist schwer zu begreifen. Man muß sich in der Platte zurechtfinden, so wie man auch in der vermüllten Wohnung eines Freundes irgendwann weiß, wo der Kaffee steht. Eine traurige Platte, ein Gesang an die abwesende Schönheit. Das macht rührselig.

Gebrochene Herzen – was für Geräusche machen die?

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