Bad Boy Kummer :: Dokumentation über den Schweizer Journalisten Tom Kummer, der mit gefälschten Interviews für einen Skandal sorgte.
Der ehrlichste Lügner
Tom Kummer
Regie: Miklos Gimes
Start: 5.5.
Wie er später mal seinem Sohn diese Sache erklären wolle? „Dass ich ein schlimmer Junge war.“ Tom Kummer grinst verlegen. „A bad boy.“ Es schwingt eher Stolz als Selbstkritik in dieser Aussage mit, die das Porträt eines begnadeten Schwindlers eröffnet. Fast sieben Jahre lang hatte der Schweizer die Redaktionen vom „SZ-Magazin“, „Spiegel“ und „Tages-Anzeiger“ mit erfundenen Interviews genarrt. Und noch heute ist er sich keiner Schuld bewusst. Er sei eben Avantgarde gewesen. „Ich breche gerne die Regeln, wollte aber niemandem schaden.“
Das ist natürlich eine erschreckend naive Ausrede, aber bezeichnend für das Selbstverständnis vieler Betrüger. Und sie erinnert im Duktus an die pikierte Reaktion von Karl-Theodor zu Guttenberg. Schuld sind immer die anderen. Oder wie die vier Protagonisten in der Dokumentation „Die Hochstapler“ von Alexander Adolph durchblicken lassen: Die Leute wollen belogen werden. „Dass ich die Antworten von den Stars genau so bekommen habe“, kontert Kummer empört die Vorwürfe, „hat doch unmöglich jemand glauben können.“
In der Tat waren seine Interviews aus Hollywood, wo Informationen kontrolliert und Images kreiert werden, einfach unglaublich. Sharon Stone räsonierte über Kierkegaard, Mike Tyson sprach von Fassbinder und der „Intelligenz meines Körpers“. Im Kampf um Originalität und Schlagzeilen, Glamour, Geheimnisse und Geständnisse waren seine ebenso intelligenten wie intimen „Gespräche“ der „Stoff, auf den alle abgefahren sind“, wie Kummer sagt. Und man war als Journalist durchaus neidisch auf ihn. Fasziniert haben seine „Interviews“ aber eben nur, weil man sie für echt hielt. Als der Trick aufflog, verpuffte auch die Wirkung.
Insofern zieht sein Kunstanspruch nicht, er könne „Fiktion als Wahrheit verkaufen, wenn in Hollywood die Wirklichkeit verfremdet wird“. Kummer hat nicht nur Leser getäuscht, er hat auch Kollegen und Vertraute enttäuscht, was in dieser Dokumentation nun sehr deutlich wird.
Regisseur Gimes war in den 90er-Jahren stellvertretender Chefredakteur der Wochenendbeilage des „Tages-Anzeigers“. Er macht keinen Hehl daraus, dass sein Film auch ein persönliches Anliegen ist, er sich von Kummer eine Erklärung, sogar Entschuldigung erhofft. Der ist mit seiner mal schlitzohrigen, mal stoischen, immer selbstverliebten Art jedoch nicht zu fassen. Als ihm sein ehemaliger „Tempo“-Chef Markus Peichl vorwirft, sein Talent verschenkt zu haben, nickt er wie ein kleiner Junge. Später liest er aus seinen Interviews – berauscht von den eigenen Einfällen.
Es sei leicht gewesen, Kummer vom Film zu überzeugen, erzählt Gimes, er wolle nicht vergessen werden. Er begleitet ihn in Los Angeles zum Paddle-Tennis, wo er als Trainer arbeitet, und zu Freunden in seiner Berner Heimat. Am Ende bleibt eine widersprüchliche, ja gar schizophrene Persönlichkeit zurück. Oder wie ein alter Kumpel sagt: „Tom ist der ehrlichste Lügner.“
Filmfacts
Medienfakes
Übles Spiel mit der Wahrheit
„Meldungen, deren Unwahrheit nicht oder erst nach Wochen festgestellt werden, sind wahr“, so Erich Kästner. Edgar Allan Poe und Mark Twain haben journalistische Fälschungen publiziert. Orson Welles sorgte mit seiner Reportage „Krieg der Welten“ für einen Skandal, Konrad Kujau mit den Hitler-Tagebüchern. Janet Cooke erhielt 1980 für ihr Porträt eines heroinsüchtigen Achtjährigen in der „Washington Post“ den Pulitzerpreis.
Naomi Watts, Annette Bening
Regie: Rodrigo Garcia Start: 28.4.
Die Physiotherapeutin Karen (Annette Bening) wohnt mit ihrer kranken Mutter zusammen und hat es nie verwunden, dass jene sie gezwungen hat, als Teeanger ihr Baby zur Adoption freizugeben. Anwältin Elizabeth (Naomi Watts) hat ihre Adoptivmutter nie akzeptiert, lebt alleine an wechselnden Orten und will lieber einen Mann als Chef, weil Frauen in ihr eine Bedrohung sehen würden. Und die verheiratete Lucy (Kerry Washington) hat sich zu einer Adoption entschieden, weil sie nicht schwanger werden kann. Wie zuvor in „Gefühle, die man sieht“, „Ten Tiny Love Stories“ und „Nine Lives“ kreuzen sich bei Regisseur Garcia, dem Sohn des Schriftstellers Gabriel Garcia Marquez, schicksalhaft die Lebenswege von einsamen, entwurzelten Frauen. Alle drei sind durchaus spannende Charaktere, verkörpert zudem von exzellenten Schauspielerinnen. Doch nachdem Garcia seine Figuren eingeführt hat, wirkt deren gemeinsame Geschichte in der insgesamt statischen Dramaturgie zunehmende derart konstruiert, dass sie immer lebloser erscheinen. Entfremdung, Verbitterung, Gefühlskälte, Identitätssuche, Tod und Trennung wirken in der bleiernen Atmosphäre wie Versatzstücke der Küchenpsychologie.
Der Biber **¿
Mel Gibson, Jodie Foster
Regie: Jodie Foster Start: 19.5.
Mel Gibson spricht mit einer Puppe! Das ist die einzige Rolle, die man dem einstigen Star in Hollywood noch geben mochte, könnte man da spotten. Denn mit Trunkenheit am Steuer, antisemitischen Äußerungen, einer Affäre inklusive Baby, Prügelvorwürfen und Sorgerechtsstreit hat er sich ins Abseits geschleudert. Sogar sein Kurzauftritt in „Hangover 2“ wurde gestrichen. Nun ist dieser Film für ihn aber kein Abstieg und auch keine Blödelei. Mit vollem Ernst erzählt Foster in ihrer dritten Regiearbeit von einer Depression, die eine Familie zerstört. Der von Gibson gespielte Unternehmer Walter will sich umbringen, steht schon betrunken auf einem Balkongeländer, als er eine Stimme hört. Es ist seine eigene, sein gesundes, selbstbewusstes andere Ich, das durch eine Biber-Handpuppe spricht, die er kurz zuvor im Müll gefunden hat. Trotz seiner neuen Lebensfreude ist seine Frau (Foster) zunehmend irritiert, dass sie nur mit seinem Alter Ego reden kann, das er sogar mit ins Bett nimmt. Die Story hat zwar berührende, aber auch alberne Momente, und erinnert in den Grundzügen sehr an „American Beauty“. Gibson macht den Job gut. Unter anderen Umständen hätte Hollywood ihn für den Oscar nominiert.
Khomotso Manyaka
Regie: Oliver Schmitz Start: 12.5.
Im aufgeklärten Westen mag man gar nicht fassen, dass Aids in Afrika noch immer als Fluch böser Geister gilt. Diesen Aberglauben, das Schweigen und die Scham thematisiert der kanadische Schauspieler Allan Stratton in seinem Roman „Worüber keiner spricht“, den der deutsche Regisseur Oliver Schmitz in Südafrika verfilmt hat. Die zwölfjährige Chanda (Khomotso Manyaka) lebt in einem ländlichen Township und muss gleich nach der Schule einen Sarg kaufen. Ihre gerade ein Jahr alte Schwester ist gestorben, ihre geliebte Mutter Lilian (Lerato Mvelase) ist schwer krank, der Stiefvater versäuft das Geld. Die wohlhabende, jeden bevormundende Nachbarin Mrs. Tafa (Harriet Manamela) erzählt zwar herum, das kleine Mädchen habe die Grippe gehabt, doch die Familie wird von der Dorfgemeinschaft gemieden, sogar angefeindet. Ein Arzt, dessen Diplome sich als Urkunden eines Pharmaherstellers entpuppen, verkauft Lilian teuer nutzlose Medikamente. Und eine okkulte Heilerin beschwört sie, in ihre Heimat zurückzukehren, weil sonst ihre Kinder für ihre Sünden büßen müssten. Ganz auf sich alleine gestellt, traut sich die verzweifelte Chanda, endlich das Tabuwort auszusprechen – und für eine würdevolle Behandlung ihrer Mutter zu kämpfen. Mit Handkamera und etlichen Laiendarstellern ist Schmitz ein sehr authentisches Drama gelungen.
Wasser für Elefanten *¿
Reese Witherspoon, Robert Pattinson
Regie: Francis Lawrence Start: 28.4.
Amerika 1931: Nach dem Unfalltod der Eltern verlässt der angehende Tierarzt Jacob (Robert Pattinson) seine Heimatstadt und schließt sich auf seiner Wanderung einem Zirkus an, der per Eisenbahn auf Tournee ist. Dort fühlt er sich zur Kunstreiterin Marlena (Reese Witherspoon) hingezogen, die mit dem ebenso charmanten wie jähzornigen Direktor August Rosenbluth (Christoph Waltz) verheiratet ist. Wer jetzt nicht ahnt, wie diese Romanze weitergeht, ist so naiv, wie es sich Autoren solch konfektionierten Kitsches erhoffen. Regisseur Lawrence („I Am Legend“) hat eine typische Bestsellerverfilmung fabriziert, die als Bilderbogenkino von der substanzlosen Story ablenkt und in der emotionale Stereotypen die Seele ersetzen. Wie schon in „Green Hornet“ variiert Waltz auch hier seinen Hans Landa aus „Inglourious Basterds“, und Lawrence schreckt nicht mal vor dem Klischee zurück, den Bösewicht mit dem Rücken zur Kamera einzuführen. Aber Waltz zeigt immerhin noch Format. Pattinson stiert wie bei seiner Vampir-Rolle in „Twilight“, die ihn zum Mädchenschwarm machte, hat aber wie Witherspoon zu wenig Charisma, um die Melodramatik spürbar zu machen.
Regie: Pepe Danquart Start: 19.5.
60 Jahre BRD. Wollte man für einen Film die Nachkriegsgeschichte aufbereiten, bräuchte man schon eine zwölfteilige Reihe und einige Hundert Zeitzeugen. Pepe Danquart, der 1994 für seinen Kurzfilm „Schwarzfahrer“ mit dem Oscar ausgezeichnet wurde, gelingt es in 140 Minuten entlang der Biografie von Joschka Fischer. Das verwundert nur kurz. Tatsächlich symbolisiert kaum ein anderer die gesellschaftlichen Prozesse in Deutschland so umfassend wie der ehemalige linke Straßenkämpfer und grüne Außenminister. 1948 geboren, war er als Sohn von katholischen Ungarn-Deutschen erst Ministrant, später „ganz logisch“ in der Jungen Union. Vor einer Videoinstallation, auf der Bilder aus 300 Stunden Archivmaterial flimmern, kommentiert Fischer spontan die historischen Ereignisse mit persönlichen Erinnerungen und faktischen Erläuterungen. Bei der Aufarbeitung des Holocaust und der „entgrenzten“ Gewalt während der 68er-Proteste wird er nachdenklich, ja emotional. Selbstironisch und nicht gar so eitel wie bei seinen letzten öffentlichen Auftritten erzählt er vom ewigen Streit mit den Fundis bei den Grünen, selbstkritisch von seinen Fehlern als hessischer Umweltminister – und dass er bei der Amtseinführung gerne auf Turnschuhe verzichtet hätte. Ein packendes, von Demut vor der Geschichte geprägtes Porträt.