Black Box Recorder – Passionoia :: One Little Indian

Dass ausgerechnet Luke Haines mal der große Überlebende der britischen Hegemonie Mitte der 90er Jahre sein würde, muss ein Treppenwitz sein. Oder ein Song von Luke Haines. Unbeirrt ging der Radikal-Ästhet, der Kunst-Terrorist, der verzweifelte Nostalgiker seinen Weg von „After Murder Park“ (mit den Auteurs) über ,JLngland Made Me“ (mit Black Box Recorder) zum „Oliver Twist Manifeste“ (als Luke Haines). Auf der letzten CD steht unmissverständlich: „This is not entertainment“. Und das Auge unter dem Bowlerhut schaut ähnlich bedrohlich wie Alex in „Clockwork Orange“. Auf dem Cover des zeitgleich erschienen Soundtracks „Christie Malry’s Own Double Entry“ hält Haines ein Schild vor der Brust: -Art will save the world.“ Und weil er das als letzter Mensch glaubt, ist Haines der schrulligste Vogel der britischen Popmusik (nicht des Britpop). Dass er auch Baader und Ensslin zu den Wahrhaftigen zählt, könnte Guido Knopp ihm vielleicht austreiben.

„Passionoia“ fuhrt ihn wieder mit John Moore und der wahrlich heißkalten Sängerin Sarah Nixey zusammen. Anstelle der traumwandlerischen, elegant wattierten Elektronik von,England Made Me“ wummert und bollert es diesmal eher trivial. Momus, ein ähnlich dünkelhafter un dexzentrischer Brite, fällt einem da ein. Und Sarah ist ein sprechsingendes Hybrid aus Sophie Ellis-Bextor und Kylie. Ist es noch Gesang oder schon Sex? „A little cottage by the sea, a glass of gin, a box of chocolates“: So stellt sich Luke Haines in „British Racing Green“ das Leben vor. In „The New Diana“ und „Andrew Ridgley“ (sie!) treibt Haines die Apotheose des (britischen) Banalen noch weiter. Ähnlich wie Jarvis Cocker in seinen Adoleszenz-Dramen untersucht er die Jugend der von Nixey dargestellten Heldin (womöglich in beiden Songs dieselbe), die zu Andrew Ridgleys Synthesizer die ersten Ekstasen erlebte. Jahre später sieht sie Andrew in einem „Gulf GTI Convertible“ durch die Kensington High Street fahren. Der „Diana fan dub“ ist in Haines‘ synthetischer Kitsch-Welt ebenso wiederkehrendes Motiv wie die Schokoladenschachtel.

Und so schaukeln sich die gewisperten Puppenstuben-Bekenntnisse zu hurtigen Rhythmen und klingelnden Keyboards zur nationalen Katastrophe hoch: „When Britain Refused To Sing“. Und in „Girls Guide For The Modern Diva“ wird Gott ans Ende der Warteschlange verwiesen.

„Passionoia “ ist Luke Haines‘ „Diskreter Charme der Bourgeoisie“: Klarsichtig, kalt und erbarmungslos schaut er in die Abgründe englischer Haushalte. Doch die Empathie und Affirmation von Pulp sind fern. Haines‘ giftiger Blick, der Hass des Solipsisten vernichtet immer gleich, was er liebt. Er vergisst und verzeiht nichts. Wer schreibt in diesem Alter noch einen „School Song“?

Haines, Haines, Haines!

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