Bob Dylan

Tell Tale Signs. The Bootleg Series Vol. 8

Smi Col (Sony Music)

Die Begeisterung, mit der bei Bob Dylan nach bisher unentdeckten künstlerischen Äußerungen gefahndet wird, kennt man sonst höchstens noch aus der Kafka-Forschung. Gründe für die Leidenschaft lassen sich viele finden. Etwa die mythische Bedeutung der „Basement Tapes“, die immer noch nicht vollständig veröffentlicht sind. Oder meisterliche Songs wie „Blind Willie McTell“, „Foot Of Pride“ oder „Caribbean Wind“, die erst Jahre nach ihrer Entstehung auf Raritätensammlungen auftauchten. Zudem stehen Bob-Dylan-Songs niemals still, sind immer im Werden begriffen. Definitive Versionen gibt es nicht. Die veröffentlichten Stücke sind nichts anderes als Momentaufnahmen- und nicht selten finden sich in Konzerten oder Studiosessions inspiriertere Performances der gleichen Songs.

Nun wird mit „Tell Tale Signs“ bereits der achte Teil der Raritäten-Reihe „Bootleg Series“ aufgelegt. Auf Doppel-CD/ Vierfach-Vinyl mit 60-seitigem Booklet und liner notes von Larry „Ratso“ Sloman. Die sündhaft teure limitierte Ausgabe hat sogar noch eine CD (die zu Redaktionsschluss noch nicht vorlag) mehr und dazu noch ein alles in allem wohl verzichtbares aufwendiges Buch mit Dylan-Singles-Covers. „Tell Tale Signs“ widmet sich den Jahren 1989 bis 2006 und enthält eine Auswahl von Outtakes, Soundtrack-Beiträgen und Live-Aufnahmen. Nicht chronologisch und- was die Filmsongs betrifft – keineswegs vollständig.

Bei einer solch langen Zeitspanne von einer Schaffensphase zu sprechen, verbietet sich bei einem unruhigen Geist wie Dylan natürlich. Aber zumindest eine Bewegung ist in diesen 17 Jahren in seinem Werk vorherrschend: zurück zu den alten Folk- und Bluessongs, mit denen er einst begann. Dylan zog sich quasi an den eigenen Wurzeln aus seiner Schaffenskrise, die ihn in der zweiten Hälfte der 80er Jahre sogar ans Aufhören denken ließ. Und so entstanden schließlich mit „Time Out Of Mind“, „Love And Theft“ und „Modern Times“ sogar wieder künstlerisch wie kommerziell überaus erfolgreiche Alben. Es war ein steiniger Weg dorthin.

In seinem Erinnerungsband „Chronicles“ hat Dylan, wenn er über die Aufnahmen zu seinen Alben „Oh Mercy“ von 1989 und „Under The Red Sky“ von 1990 sprach, öfter über das mangelnde Gespür seiner Produzenten geklagt. Die live im Studio entstandenen frühen Versionen von „Most Of The Time“, „Born In Time“ oder „God Only Knows“ sind nun in der Tat regelrechte Offenbarungen, denn Daniel Lanois und Don Was fügten diesen Songs durch ihre Produktion später nichts Wesentliches mehr hinzu, ja, schlimmer noch, sie verschleierten ihr Wesen sogar.

Kein Wunder, dass sich Dylan danach dem Traditionalisten Dave Bromberg anvertraute. Doch auch mit den mit dem Gitarristen entstandenen Stücken, von denen hier eine schöne Version von Jimmie Rodgers „Miss The Mississippi“ zu hören ist, war Dylan nicht zufrieden. Schließlich zog er sich in seine Garage in Malibu zurück und nahm dort zwei Platten mit teilweise recht obskuren alten Songs auf, von denen es auf „Tell Tale Signs“ mit Robert Johnsons „32-20 Blues“ leider nur ein Outtake zu hören gibt.

Wie sehr Dylan auch bei der nächsten Zusammenarbeit mit Lanois wieder zu kämpfen hatte, belegen die Stücke aus den Sessions zum späteren Meisterwerk „Time Out Of Mind“, die den Kern von „Tell Tale Signs“ bilden. Etwa eine frühe Version von „Mississippi“ mit Dylan an der akustischen und Lanois an der elektrischen Gitarre. Diese erste Aufnahme holt den Song dort ab, wo er zu Hause ist – im Delta Blues. Auch eine wunderschön verlangsamte Band-Version blieb dieser Tradition weitgehend treu. Doch Lanois wollte daraus ein dunkles, polyrythmisches Swamp-Stück machen. Daraufhin verwarf Dylan den Song und nahm ihn vier Jahre später für „Love And Theft“ noch einmal neu auf.

„Mississippi“ ist nicht der einzige große Song, den Dylan beim finalen Tracklisting von „Time Out Of Mind“ verschmähte. „Red River Shore“, ein auf dem gleichnamigen Song des Kingston-Trios basierendes Stück mit Augie Meyers Tex-Mex-Akkordeon, ist der wohl faszinierendste unveröffentlichte Song dieser Sammlung und neben „Cross The Green Mountain“ – Dylans Beitrag zum Soundtrack eines US-Fernsehfilms über den Bürgerkrieg – der Höhepunkt auf „Tell Tale Signs“. Auch die anderen „Time Out Of Mind“-Outtakes sind faszinierend, geben einen Einblick in die Entstehung dieses Albums. Man kann hören, wie die Textzeilen, die Dylan wohl vor den Aufnahmen schrieb, allmählich ihren Weg in die Songs finden, wie er mit Stimmungen und Stimmen experimentiert.

Solche Aufnahmen sind natürlich- wie einiges auf „Tell Tale Signs“ – vor allem für Spezialisten und Hermeneutiker interessant. Aber schon wenn „Red River Shore“ nun Eingang in Dylans Hauptwerk- die so genannte „Neverending Tour“ – finden und dort in ähnlich aufregenden Neuinterpretationen erklingen sollte, wie wir sie etwa von „High Water (For Charley Patton)“ auf „Tell Tale Signs“ hören können, ist diese Veröffentlichung für uns alle ein Geschenk. (Sony BMG)

Maik Brüggemeyer