Noch vor Kurzem musste man glauben, Boy George hätte seine Stimme verloren. Hatte die 80er-Ikone auf dem letztjährigen Familienausflug der British Electric Foundation den Stooges- Titel „I Wanna Be Your Dog“ doch etwas zu wörtlich genommen! Aber beschwert sich jemand über Marianne Faithfulls Heiserkeit? Jede durchgefeierte Nacht, jedes Koks-Päckchen, jede Callboy-Fessel, aber auch jedes Hare-Krishna-Mantra spiegelt sich nun in George O’Dowds einst so geschmeidiger Stimme wider. Und das passt ganz erstaunlich: Auf seinem ersten „richtigen“ Solostreich seit 18 Jahren (ja, man darf „Comeback“ da- zu sagen!) zeigt sich der 52-Jährige mit einem Potpourri augenzwin- kernder Rückbetrachtungen geläutert und selbstironisch. Eine Reflexion auf Lebensabschnitte, in denen er dachte, Selbstzerstörung wäre cool (wie bei „King Of Everything“), könnte wohl kaum funktionieren, würde man sie wie „Victims“ intonieren.
Boy Georges emotionale Beulen hört man vor allem auf „Death Of Samantha“ heraus: Den Yoko-Ono- Song macht er sich ganz zu eigen und kommt dabei Leonard Cohen so nahe wie nur irgendwie möglich. Die mütterliche Freundin taucht auch noch einmal in einer anderen Passage auf: Georgie-Boy stellt in „Bigger Than War“ fest, dass die Liebe größer sei als die Rolling Stones, als die Beatles und als Elvis – nur nicht als Yoko!
Bedauerlich nur, dass der Pop-Ap- peal im Endspurt ein wenig auf der Strecke bleibt und Reggae-Referenz auf Reggae-Referenz folgt. Etwas zu viel – von Dub bis No Wave – packt der Culture-Club-Frontmann, unterstützt vom arabischen Sänger Nizar Al Issa, abschließend in „Feel The Vibration“, als wären da die Stilquirle von Primal Scream am Werk. Dennoch schließt sich der Kreis. „I got my sparkle back again“, heißt es anderswo, und „This Is What I Do“ hat keinen Deut we- niger Soul als das Solodebüt „Sold“ von 1987. An das neue Outfit des Verwandlungskünstlers muss man sich allerdings noch gewöhnen. Zu sehr erinnert seine Gesichtsbehaarung an einen ausgeprägten Damenbart.
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