Brian Wilson – Getting In Over My Head
Jede Geste, jeder Schritt und jede Ansage waren einstudiert, jedes Arrangement musste sitzen, um Brian Wilson die Sicherheit zu geben, als er wieder vor die Gemeinde trat, um einen der größten Mythen des Pop aufzuführen: „Smile“. Ein Drahtseilakt. Seine Band meisterte diese Abende ohne Netz und doppelten Boden souverän. Versierte Musiker, Meister der Reproduktion.
Was im Konzert notwendig war, kann im Studio schnell nach uninspiriertem Handwerk klingen. Ahnte Peter Blake, der das Cover für „Getting It Over My Head“ gestaltete, etwas, als er exakt den gleichen roten Stern auf gelben Grund verwendete, den er schon auf die Hülle von Paul Weilers Dadrock-Album „Stanley Road“ klebte?
Man muss es fast annehmen. Denn Wilson kündigte schon bei den diesjährigen Konzerten ein „Rock’n’Roll-Album“ an. Und Brian Wilson hat mit Rock’n‘ Roll bekanntlicherweise ebensoviel gemein wie Sid Vicious mit Zwölftonmusik. Man musste mit Schrecken an „15 Big Ones“ denken, das 76er Beach Boys-Album mit alten Rock’n’Roll-Klassikern und weniger gutem eigenen Material, für das die Plattenfirma Brian aus dem Bett geholt und das erste Mal seit „Pet Sounds“ au£ den Produzentenstuhl gesetzt hatte, um die Verkäufe anzukurbeln.
Für „Getting lt Over My Head“, das erste Album seit dem verproduzierten „Imagination „vor sechs Jahren, hat Wilson ebenfalls wieder selbst die Regie übernommen. Überraschender ist allerdings die Rückkehr von Van Dyke Parks als Co-Songschreiber und Carl Wilsons Gesang auf „Soul Searchin'“, den dieser kurz vor seinem Tod 1998 noch mit seinem Bruder aufnahm. Diese Stimme, die „God Only Knows“ einst zum erhabensten Moment der Popmusik machte, war schon stark von der Krankheit gezeichnet und klingt so rau wie die von Bruder Dennis kurz vor seinem letzten Tauchgang. Doch einen berührenderen Moment wird man weder auf „Getting It Over My Head“ noch auf irgendeiner anderen Produktion dieses Jahres finden.
Ganz sicher nicht in Elton Johns schauerlichem Geknödel auf „How Could We Be Dancing“ oder dem Gastauftritt von Eric Clapton, der dem schon im Konzert nicht überzeugenden „City Blues“ mit einem dummen, lauten Gitarrensolo den Rest gibt. Das war wohl das Rock’n’Roll-Element, von dem Wilson sprach. Es ist leider nur Rock-ohne Roll. Ansonsten gibt’s erfreulicherweise keine Totalausfälle. Die Band füllt die schlichten Arrangements pflichtgemäß aus, die ausgefeilten Harmonien sitzen fast wie in alten Zeiten, die Songs folgen weiter dem Muster von „Love And Mercy“, einfach, aber niemals einfältig. „You’ve Touched Me“, „Desert Drive“ und das famos arrangierte „Don’t Let Her Know She’s An Angel“ gehören zum Besten, was Wilson in den letzten 25 Jahren schrieb.
Paul McCartneys Gastauftritt ist manierlich. Er hat dem Rührstück „A Friend Like Me“ zwar nichts Kongeniales hinzuzufügen, ist Wilson aber respektvoll verbunden, schließlich verdanken beide ihren künstlerischen Zenit Mitte der 60er der Inspiration durch das Werk des jeweils anderen.
Für den unbestreitbaren Höhepunkt sorgt ein anderer Weggefährte seit den 60er Jahren: Van Dyke Parks. Mit ihm schrieb Wilson „The Waltz“ – zickig, ekklektisch, symphonisch und die alte „Smile“-Magie wesentlich besser einfangend als „Rio Grande“, die Versuchsanordnung mit Andy Paley auf dem ersten Wilson-Soloalbum von 1988.
Im Herbst soll Wilsons opus magnum „Smile“ 37 Jahre nach der ursprünglich geplanten Veröffentlichung erscheinen. Nicht unter Verwendung der Originalbänder, sondern neu eingespielt von der besten Brian-Wilson-Coverband auf dem Erdenrund – seiner eigenen. Ein bisschen enttäuschend ist das schon. Wenn man dem Mythos schon seine Aura nehmen musste, warum ihn dann nicht ordentlich dekonstruieren? Die Flaming Lips hätten da sicherlich gerne geholfen.