Brian Wilson & Van Dyke Parks – Orange Crate Art
Durch inflationären Gebrauch geschwächt, haben Attribute wie „legendär“ und „genial“ und „meisterhaft“ viel von ihrem definitorischen Wert eingebüßt und sind oft genug nur mehr Staffage für geschmäcklerische Wertschätzung. Könnten wir diesen Begriffen im Dienste der Wahrheit ihr spezifisches Gewicht zurückgeben und dürften wir sie nur unter größter Zurückhaltung anwenden, so müßten wir dennoch konstatieren; Van Dyke Parks ist eine Legende, Brian Wilson ist ein Genie und „Orange Crate Art“ ist ein Meisterwerk.
Die Legendenbildung um den Magier Parks und Wilsons Ernennung zum Genius per publizistischer Akklamation lassen sich mit 1966 nicht nur genau datieren, sie sind auch kausal eng miteinander verknüpft. „Pet Sounds“ war gerade erschienen, und Brian Wilson setzte zum nächsten Quantensprung an, mit dem er die britannische Konkurrenz endgültig hinter sich lassen wollte. Der Bikini-Beschränktheit der Beach Boys bereits entfremdet, arbeitete Wilson gemeinsam mit Parks und mit Besessenheit an jenem Album, das zuerst „Dumb Angel“ heißen sollte und später umgetauft wurde in „Smile“. „A teenage symphony to God“ sollte es werden, so Wilson, doch es wurde seine große Unvollendete, ein Opus interruptus. Abgebrochen, weil der Plattenfirma die ausufernden Sessions zu kostspielig wurden, weil die Beach Boys sich standhaft weigerten, diese seltsamen Songs zu singen, und weil Brians psycho-pathologische Anwandlungen dem Fortgang der Arbeit immer mehr im Weg standen. Van Dyke Parks kapitulierte. Das Ende des Projekts „Smile“ war der Anfang des Mythos „Smile“ und führt seither ein Eigenleben in der Twilight Zone. Nur das Single-Epos „Heroes And Villains“ und ein ohne Wilsons Wissen editiertes „Surfs Up“ lassen ahnen, welch lichte Sphären „Smile“ angepeilt hatte.
Und nun, fast 30 Jahre später, wieder eine Kollaboration der so ungleichen Partner: „Orange Crate Art“ ist freilich kein Ableger von „Smile“, auch keine Fortschreibung. „Art“ ist opulent und passioniert, kommt aber ohne Helden und Schurken aus, ohne kalifornischen Surf. Es ist eine Liebeserklärung an den Norden Kaliforniens, ein Plädoyer für die Kunst im allgemeinen und den Impressionismus der Jahrhundertwende im besonderen. Nichts an diesem Album ist teenage, nichts symphonisch, und Gott kommt nur ins Spiel, wenn er wie der Teufel im Detail steckt.
Mehr als alles andere ist es die Arbeitsteilung, die „Orange Crate Art“ von „Smile“ unterscheidet. Van Dyke Parks komponierte, arrangierte, produzierte. Brian Wilson sang. Eine äußerst zwiespältige Erfahrung für den Control-Freak Wilson, der sich nur zögernd in die Rolle des Erfüllungsgehilfen schickte. So lange Jahre war sein Leben fremdbestimmt und ferngelenkt, daß es weniger die Ausdruckskraft seines Gesangs ist, die verblüfft, sondern die Autorität seiner Stimme. Das um so mehr, als die Arbeitsweise zwar Vertrauen in die Fähigkeiten des Produzenten offenbart, jedoch nicht eben Zutrauen in die eigene Kapazität: Brian Wilson hat die blumigen und cinematographischen Texte nicht memoriert, sondern sang sie vom Blatt, sitzend, Zeile für Zeile, Harmonie-Schicht um Schicht, bis das im besten Sinne anachronistische tonale Werk stand.
Ein Lieder-Zyklus ist es – und nicht nur deshalb verwandt mit „Song Cycle“, Parks‘ erstem Solo-Album, in das er sich geflüchtet hatte, damals, nach dem Scheitern von „Smile“. Die neuen Songs sind weniger verschroben, bescheiden sich und becircen mit runden Formen, wo ehedem Ecken zur Umsicht beim Hören zwangen. Wir hören „Pet Sounds“ und „Sunflower“ in „Orange Crate Art“, aber mehr atmosphärisch als musikalisch, während die Bezugspunkte zu den Frühwerken des Van Dyke Parks bis in die feinadrige Instrumentierung, bis hinein in den Stoffwechsel der Songs reichen. Nur der Titelsong und das herausragende „San Francisco“ haben ostentative Beach Boys-Bezüge, die anderen Cuts erinnern mehr an Parks-Platten. Der Steel-Drums-Calypso von „Sail Away“ etwa an „Discover America“, der naive Charme von „Movies Is Magic“ an „Jump“, sein
vergleichsweise knalliges Barock-Pop-Werk für Kids und für das Kind im Manne. „Wings Of A Dove“ bläst Trübsal, aber melodisch beschwingt, „Palm Tree And Moon“ ist dramatischer, komplexer und erwies sich mit seiner fernöstlichen Tonalität als besonders schwierig zu singen. „My Jeanine“ andererseits kam mit seinem sanften Doowop-Flair Brain Wilson sehr entgegen.
Beschreiben könne er die Musik nicht, sagt Wilson, „but it’s what I call good music“. Van Dyke Parks, Denker und Lenker, ist um Charakterisierungen nicht verlegen, möchte primär aber das Prinzip der Schönheit in seiner Musik reflektiert sehen, und Gefühle eingefangen wissen.Nostalgie, sagt er, sei das mitnichten. George Gershwins „Lullaby“, das im Kleid seines Arrangements das Album beendet, sei doch auch nicht an irgendeine Zeit gebunden. Und so ist es keine geringere Bürde als diese Zeitlosigkeit, mit der er auch sein eigenes Material beschwert.
Das entlastet den Kritiker, entbindet ihn allerdings nicht von der Aufgabe, der Welt kundzutun, daß dieser Zahn der Zeit vergeblich an „Orange Crate Art“ nagen wird.
Nicht weil dieses prachtvolle Album so brillant wäre wie „Song Cycle“ oder „Pet Sounds“, sondern weil diese inszenierte und doch einfühlsame Ode ans alte California beeindruckende Bilder zurückholt und der Vergessenheit entreißt. Im Kontinuum von „Orange Crate Art“ verschandelt noch kein Hotel California die Landschaft, da steht nur ein windschiefes Motel. Doch auch hier gilt schon: „You can check out any time you like, but you can never leave.“