Carter Family u. a. :: The Bristol Sessions 1927-28

Box-Set-Dokumentation der Hillbilly Music in 125 Aufnahmen

Als Lowell George und John Sebastian der Mountain Music von Virginia und Tennesse ein Denkmal setzten mit dem wehmütigen „Face Of Appalachia“, war das volkstümliche Hillbilly-Liedgut im Lauf von Jahrzehnten längst zu sehr kommerzieller Musik mutiert. Mit Visionen wie „Wild birds sing to a five-string/ Bouncing music off the mountain walls“, träumten sie sich in eine Zeit zurück, als dort noch zu akustischen Instrumenten Lieder über die Freuden und das Elend des Lebens gesungen wurden. Das hatte sich doch ziemlich geändert, wie sie selber bekannten.

Der bei Okeh unter Vertrag stehende Ernest Stoneman, heute fast vergessene Legende der Gattung, hatte einem Angestellten der Firma Victor nicht ganz uneigennützig empfohlen, namhafte wie sich selbst für talentiert haltende Interpreten folkloristischer „Country“-Musik aus der Gegend um Bristol per Anzeige zu Aufnahme-Sessions für seine Firma einzuladen. Dieser Ralph Peer, zuständig auch für die Verlagsrechte an den Aufnahmen, war guten Mutes, bei der Gelegenheit etliche richtig begabte Sänger, Musikanten und Ensembles aufzuspüren, die sich kommerziell ganz gut vermarkten lassen würden. Bar auf die Hand zahlte er die stolze Summe von 50 Dollar pro Aufnahme. Versprochen wurde, jede verkaufte Scheibe mit 2,5 Cent zu honorieren.

Es waren nicht dieselben, wohl nur ähnliche Gaunereien, wie sie die Herren aus New York im Fall der Blues-Sänger aus dem Süden praktizierten. Aber die Aktion, zu der man eigens ein kleines Studio in einer Hutfabrik der Stadt eingerichtet hatte, war erfolgreich. Den schon vorher von Ernest Stoneman eingespielten Evergreen „Skip To Ma Lou My Darling“, den Uncle Eck Dunford für Victrola noch einmal eingespielt hatte, ließ John Ford noch Jahrzehnte in Western vortragen. Die Tenneva Ramblers, Begleitband des lokal geschätzten Sängers Jimmie Rodgers, brachten es mit ihren Aufnahmen nicht zu nationalem Ruhm, sehr wohl aber der bald als „singing brakeman“ gefeierte Star des Ensembles mit seiner Solo-Karriere. Zweite große Entdeckung war die Carter Family, die erste und wohl berühmteste Dynastie der ganzen Country Music. Auch das hinreißend Gospel singende Alcoa Quartet dürfte für viele Spezialisten in Sachen Folk eine wunderbare Entdeckung bei diesem Box-Set sein. Vorläufer für nachmalige Folk-Stars wie Woody Guthrie war Alfred G. Karnes mit Songs wie „I Am Bound For The Promised Land“.

Es ist verblüffend, in welch famoser Aufnahmequalität hier alle Antiquitäten – auch Karnes‘ Gospel-Trost „Where We’ll Never Grow Old“ – erhalten sind. Die als „Bristol Sessions“ berühmt gewordenen Pioniertaten des dadurch steinreich gewordenen Musikverlegers lagen bislang unvollständig und verstreut auf mehreren CD-Sets vor. Hier findet man alle 125 Aufnahmen erstmals in vorzüglichem (Re)Mastering in einem Box-Set versammelt. Dazu die Texte zu allen Songs, die Interpreten angemessen porträtiert, auch auf raren und ganz wundervollen alten Fotos abgebildet. (Bear Family) Franz Schöler

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