Chris Whitley & Bastard Club – Reiter In
Daniel Lanois war vermutlich gerade nicht in der Nähe, als sich Chris Whitley an die Arbeiten zu „Reiter In“ machte. Dafür jedoch immerhin eine verschworene Gang aus alten Freunden und Gönnern, die nicht nur in Whitleys Begleitband mit dem diskreten Namen „Bastard Club“ mitspielten, sondem zum Teil auch die Produktion und den Mix übernahmen. Passend zu Whitleys Dresden-Affinität ist „Reiter In“ der Name einer Kneipe im dortigen Alternativviertel Neustadt: ein Mix aus Lebenskünstlern, Wilden, Hundekot und Graffiti.
Ein bonbonbuntes Treiben also, in dem sich Whitley nicht zuletzt dank der in Dresden ansässigen Freundin wohlfühlte. Zumindest irgendwie. Zum Zeitpunkt der Sessions in den Old Soul Studios in New York befand sich der Sänger gesundheitlich bereits in einem bemitleidenswerten Zustand. Am 20. November 2005 starb Chris Whitley an Lungenkrebs.
Weshalb „Reiter In“ nun unfreiwillig zum Vermächtnis geworden – und man dies bei der Beurteilung des Albums berücksichtigen muß. Obwohl ausgerechnet das letzte Stück „Comin Home“ betitelt ist. Geschenkt. Konzentrieren wir uns lieber auf die Fakten: Die Songs wurden hörbar zumeist in nur einem Take aufgenommen, kaum Overdubs, auch kein Übertünchen eventueller Schnitzer. Arrangements wie eine speckige Jeans, die Band ist hörbar in Spiellaune.
Whitley hat diesmal nur wenige Songs selbst geschrieben und bedient sich lieber umfangreich an Fremdmaterial. Iggy Pops „I Wanna Be Your Dog“ gelingt passabel (fügt dem Original allerdings auch nichts hinzu), Willy Dixons „Bring 1t Home“ und das rauh gehaltene „Are Friends Electric?“ von Gary Numan stehen ebenfalls auf der Habenseite. Ansonsten muß man sich für einige Songs schon etwas warmsaufen. Dann aber gefällt etwa die Vertonung der Gedichte „Cut The Cards“ (in Vintage-Qualität) und das bizarre „Reiter In“, hier gesprochen von einer entrückten Frau.
Ohnehin zieht sich eine unheimliche, klaustrophobische Stimmung durch dieses Album. Das Gefühl, im Nebenzimmer einem Poltergeist bei fragwürdiger Laune zuzuhören. Verstörend, immer etwas verwundet, eine Platte ohne Netz und doppelten Boden, schmerzhaft. Ein Eindruck, der nicht von ungefähr kommt und den Whitley durch kein Folgewerk mehr revidieren kann. His wandering days are over.