David Bowie: „Brillant Adventure (1992-2001)“ – Wagnis und Wahnwitz

Die Platten der 90er-Jahre und das bislang unveröffentlichte Album „Toy“ von 2001

Die Neunziger waren Bowies viertes Jahrzehnt als Künstler, aber das erste ohne Welthits. Die würden auch bis zu seinem Tod zwei Jahrzehnte später ausbleiben. Diese sechs Alben sind dennoch stark genug, um ein Gedankenspiel zuzulassen: Wenn er seine Karriere in jener Dekade erst begonnen hät­te, wäre er dann gleich wieder in der Versenkung ver­schwunden?

Wohl nicht. Wir hätten ihn kennengelernt als Musi­ker mit Blick auf den Zeit­ geist und gelegentlich geni­alen Zügen, dem jedoch kein Meisterwerk gelingen will. Sein Abschiedsalbum, „Blackstar“ (2016), wird als neuartiger Jazz­-Pop feinster Güte gefeiert, aber die unbeachteten Pionieralben heißen „The Buddha Of Suburbia“ und „Black Tie White Noise“ (beide 1993). Bei den „Tie“-­Songs griff Bowie zum Saxofon, selten für Melodi­en, eher für Effekte. Für „Miracle Goodnight“ spielte Produzent Nile Rodgers ein nur elfsekündiges, aber unvergessliches Gitarrensolo. „Spiele so, als hätte es die Fünfziger nie gegeben“, forderte Bowie. Und als wäre „weiße“ Popmusik nie von „schwarzer“ beeinflusst worden. „Ich will keine einzige Blue Note hören.“

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Mit den zwei Folgealben huldigte er Trends der Neunziger, Industrial und Breakbeat. „Outside“ (1995) ist ein überkandideltes Konzeptalbum über einen Detektiv, der Morde in der Kunstszene aufklärt, mit einigen seiner schönsten Zeilen: „Do you like girls or boys?/ It’s confusing these days/ But moon dust will cover you“ – „Hallo Space­ boy“ war die wahnwitzige Idee, Ziggy Stardust und Major Tom zu vereinen. Mit dem besseren „Earthling“ (1997) arbeitete Bowie erst­mals einem Trend hinter­ her, Drum’n’Bass war durch. Aber hinter der Tanzflächen­-Show verbarg sich, würde man die zappe­ligen Arrangements begradi­gen, gutes Material. „Hours“ (1999) war bereits, trotz seiner Fantasien über das erblühende Internet, ein eher konservatives, seinerzeit als „return to form“ gefeiertes Werk, das den „Classic Rock“­Bowie der Nullerjah­re vorwegnahm. In Besprechungen tauchte erstmals die Phrase „das beste Album seit ‚Scary Monsters‘“ auf.

Das Set hat unverständliche Leerstellen. Als High­light wird das 2001 nicht veröffentlichte und im Januar auch als eigene Box erscheinende Album „Toy“ angepriesen, aber unter den Neuaufnahmen älterer Songs fehlt „Uncle Floyd“. „Toy“ bietet ein zwiespälti­ges Erlebnis. Neben einer feinfühligen „Silly Boy Blue“­Interpretation steht „You’ve Got A Habit Of Leaving“, das aus dem Sixties­ Beat eine jener Mucker­nummern macht, zu denen Bowie ab „Heathen“ von 2002 neigte. Die 45-­minüti­ gen „Leon Suites“ aus den „Outside“-Sessions bleiben ein Fan-­Traum, der noch immer als Leak auf You­ Tube gehört werden muss. Es fehlt auch die Goldie-Kooperation „Truth“, die lusti­gerweise ohne Drum’n’­ Bass, gar ohne Rhythmus auskommt. Schön aber der Verzicht auf „Jewel“, Bo­wies grässlichen Versuch, mit Reeves Gabrels, Dave Grohl und Frank Black die ultimative Indie-­Rock­-Hymne zu kreieren. Dafür ist „A Foggy Day In London Town“ dabei, in dem Angelo Badalamenti zuverlässig unter Beweis stellt, dass ein Xylofon Angst machen kann. Und „Planet Of Dreams“, das Duett mit der Bassistin Gail Ann Dorsey.

Als Live-­Album ist ein bekannter BBC­-Gig aus dem Jahr 2000 enthalten, aber man kommt ja kaum noch mit: In den vergangenen zwölf Monaten erschienen sechs Live­Mitschnitte aus der „Brilliant Adventure“­ Ära unter dem – wegen Verwechslungsgefahr äußerst ungünstigen – Namen „Brilliant Live Adventures“. Das wichtigere Konzert wäre ein anderes gewesen: Bo­wies „Birthday Bash“ zum 50. Geburtstag in New York, mit Gästen wie Lou Reed, Sonic Youth und Ro­bert Smith.