David Thomas & Two Pale Boys – Erewhon

Reisen an Orte, die nicht existieren. Musik, die noch niemals gehört wurde. Texte, die nichts bedeuten. Ein Mann, den niemand kennt Einzelkämpfer, Erfinder, Vorgänger: David Thomas. Auf ihn können sich alle einigen, wenn nach Avantgarde in der Rockmusik gefragt wird; seit 1975 ist der Amerikaner allem voraus, ist ihm alles egal, was nicht in seinen Plan paßt Die Regeln ändert er mit jedem Album, jeder Vinyl-Single, jeder „see dee plus“; bei Pere Ubu war er stets primus inter pares: Anton Fier spielte mit, Tony Maimone, Eric Drew

Feldman. Bob Mould und Frank Black nutzten später deren Talente.

Thomas‘ Genie ist unerforscht geblieben, seine Kunst eine Liebhaber-Angelegenheit. Mit „Erewhon“ setzt der Schrat nun das Projekt Two Pale Boys fort, an dem bereits Richard Thompson und Ira Kaplan mitwirkten. Die Versuchsanordnung: „Imperious laissez-faire. Deliver the goods. Talk, theory and discussion are a waste of time.“ So David Thomas. Alles ist Improvisation, Atem der Spontaneität Der Mentor lieferte den Stoff; die Two Pale Boys sind der Gitarrist Keith Moline, ein Ambient-Spezialist, und der Trompeter Andy Diagram, früher bei James. Das Konzept ist eine imaginäre Geographie, eine gefälschte Topographie Amerikas, in der die Orte wundersam um die „Castalian Sea“ zusammenrücken. Eine Postkarte vom „Blue Hole Castilia, Ohio“ vollendet die Schimäre: unbekannte Tiefe, keine Fische, keine Nahrung. Ein idyllisches Enigma.

David Thomas ächzt und brummelt und croont und spielt Melodeon. Die Stücke haben diese unterschwellige Panik, diese hypnotische Spannung kurz vor dem Ausbruch, die man von Thomas‘ Songs kennt. Sie sind tautologisch, folkloristisch, kinderliedhaft Schwieriges, unfertiges, unbehauenes Material. Aber alle Mühen wert Mehr Mühe noch fordert die Pere Ubu-Sammlung „Datapanik In The Year Zero“ – eine Werkschau, die auf fünf CDs die frühen Jahre der Band sichert (darunter die ersten fünf Alben) und im Booklet die Anfange in Cleveland erläutert. Zwischen 1975 und ’82 ist der Bogen gespannt Während die Talking Heads in New York mild beunruhigende Songs über gepflegten Stumpfsinn, brennenden Irrsinn und die urbane Langeweile zwischen Gebäuden und Nahrungsmitteln schrieben, ging bei Pere Ubu in Cleveland schon gleich die Welt unter. Eine Aura von Klaustrophobie, Zukunftslosigkeit und Apokalypse verströmen diese Songs: „Heart Of Darkness“, „Final Solution“, „My Dark Ages“, „Life Stinks“ – der Himmel über den spätindustriellen Landschaften ist für immer geschlossen. Auch in der Musik: ein Zerstörungswerk.

Damals hätte sich niemand vorstellen können, das Jahr 2000 zu erleben, schreibt David Thomas im Booklet Getriebenheit, Wut und Träume vom Durchbruch aus Cleveland: „Here you find it, recorded, but gone.“ Die erste Musik zum Jahr Null.

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