Diverse – Dead Man Walking

Soundtracks stehen niemals im eigenen Recht. Es sind nicht immer die besten, die einen Film wie man so sagt – kongenial begleiten und womöglich erweitern. Und schon gar nicht taugen jene Hit-Sammlungen, die bloß das wohlfeile Hintergrundrauschen samt Wiedererkennungswert und Stimmungsmodulation besorgen. Für die Zweitverwertung werden meistens ein paar verfügbare Songs beliebig zusammengekoppelt, die allenfalls lose mit den Film-Themen verbunden sind.

Handelt es sich um amerikanische Filme, ist fast alles möglich. Bei „Singles“ etwa, einer oberflächlich menschenfreundlichen Komödie über junge Menschen in Seattle, konnte gleich der gesamte Grunge eingesetzt werden. Und bei „Bodyguard“ wurden Whitney Houston und – wie immer wieder erwähnt werden muß – der arme Nick Lowe sehr reich. Auch Rock-Musiker, denen es langweilig wird oder die nach Höherem streben, übernehmen Auftragsarbeiten: Randy Newman, Ry Cooder, John Cale, John Lurie, kürzlich Neil Young für Jarmuschs „Dead Man“ – die können das und machen es gut. Andere, wie Tina Turner, singen nur mal ein Lied, was aber sehr lukrativ sein kann. Kunstwerke bleiben unter viel Handwerk die rühmliche Ausnahme.

Der Schauspieler und Regisseur Tim Robbins versteht viel von populärer Musik. Vor ein paar Jahren drehte er den Film „Bob Roberts“, der vom Aufstieg eines fahrenden Folk-Sängers zum Präsidentschaftskandidaten erzählt Darin singt der alerte Populist brave Lieder von der Treue zum Vaterland und dem Glauben an Gott, posiert strahlend in Reklamefilmchen und imitiert hemmungslos Bob Dylans „Subterranean Homesick Blues“. Auch die eigens komponierten Lieder hätte Dylan verfassen können – von den Texten abgesehen. Eine böse Satire, eine Schmierenkomödie, ein meisterlicher Schelmenstreich: Tim Robbins‘ Debüt als Filmregisseur traf so präzise ins Herz der amerikanischen Glückseligkeit, daß der Film kaum beachtet wurde. Als gefälschte Dokumentation war „Bob Roberts“ so glaubhaft wie Orson Welles‘ Radio-Invasion der Marsmenschen.

Nun hat Robbins, ein begnadeter Außenseiter der Branche, wieder einen Film gemacht – statt einer Parodie ein Sozialdrama: „Dead Man Walking“ handelt von einem Mörder, der auf seinen letzten Gang wartet und von einer Nonne beharrlich umsorgt und befragt wird. Der Film – mit Sean Penn und Susan Sarandon in den Hauptrollen – ist seine Beichte und sein Testament, und er konfrontiert die amerikanische Gesellschaft mit der finalen Konsequenz ihrer Rechtsprechung. Oliver Stone, Spike Lee und viele schwächere Regisseure hätten daraus ein Fanal, einen flammenden moralischen Appell gemacht – Tim Robbins zeigt nur die blanke Evidenz.

In den Songs des Soundtracks, von denen die meisten im Film gar nicht zu hören sind, ist die empathische Trauer über etwas Unerklärliches aufgehoben. Sie ergreifen nicht Partei, sie klagen nicht an, sie erklären und verklären nicht. Es gibt keine Eindeutigkeit wie bei Biko oder Mandela, kein gutes Gewissen und keine politische Korrektheit. Verhandelt wird nicht die Moral, sondern die Existenz – und also die unerträgliche Ambivalenz eines Menschenlebens, deren Beurteilung sich die Justiz nicht leisten kann. Das Gesetz ist so blind wie der Delinquent, und Patti Smith erhebt nach langer Zeit in „Walkin Blind“, einer gespenstischen Beschwörung, wieder ihre Stimme. Ein guter Anlaß zur Rückkehr.

Bruce Springsteen, der auf seinem jüngsten Album den Verlierern und Verzweifelten seines Landes eine unsentimentale Stimme gegeben hat, singt den Titelsong gurgelnd als ein karges, kunstloses Memento mori (und faßt ziemlich präzise den Inhalt all seiner Songs zusammen): „Once I had a Job and a girl/ But between our dreams and our actions lies this world.“ Bruce: nicht erst seit „Streets Of Philadelphia“ der Ombudsmann und oberste Sozialarbeiter der USA. Johnny Cash, selbst eine Art von Outlaw und von Robbins („Are there words?“) bewundert, singt den Country-Song „In Your Mind“: „One foot on the Jacob’s ladder and one foot in the fire.“ Suzanne Vega experimentiert wie auf ihrem letzten Album mit synthetischen, industriellen Klängen. Lyle Lovett singt „Promises“, und Tom Waits hat zwei rohe, desperate Stücke beigetragen (und mit „Walk Away“ seinen Song „16 Shells“ von „Swordfishtrombones“ plagiiert). Eddie Vedder, seit der Segnung durch Neil Young offenbar zu allem fähig, hat zweimal mit dem pakistanischen Quawwali-Sänger Nusrat Fateh Ali Khan zusammengearbeitet – und dieser west-östlichen Diva-Paarung sind die interessantesten Momente des Soundtracks zu danken: In „The Face Of Love“ dominiert das Fernöstliche, in dem schwermütigen Requiem „The Long Road“ (das aus den „Mirror Ball“ Sessions mit Neil „Übung stammt und vor kurzem auf der Single „Merkin Ball“ veröffentlicht wurde) phrasiert Vedder am Ende fast allein zu Akkordeon und akustischer Gitarre. Der Fall Vedder: wie man Rock-Star wird, sich von der Welt abwendet, zur mönchischen Existenz konvertiert und in sich selbst kreiselt „All the memories go round and round and round“: Seit Cat Stevens das drastischste Beispiel für Erleuchtung.

Dagegen nur Marginalien: Steve Earle knarzt beseelt „Ellis Unit One“, Michelle Shocked und Mary Chapin Carpenter singen Zartes.

„Dead Man Walking“ ist kein Soundtrack wie „Pulp Fiction“. Tim Robbins, gewiß ebenso kenntnisreich wie Quentin Tarantino, bat die vertretenen Songschreiber in Briefen um ihre Teilnahme und fungierten dann als „executive producer“. Lauter Engagierte, lauter Wunschkandidaten, lauter gewissenhafte Künstler. Die korrekte Gesinnung kann man leider trotzdem nicht an der Kinokasse erwerben.

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