Diverse :: Make It Your Sound Make It Your Scene – Vanguard Records And The 1960s Musical Revolution
Ein Überblick über die großen Jahre des legendären Folk-Labels
Dass sie eines Tages während der Geburtswehen des amerikanischen Folk-Revivals die Rolle von Hebammen übernehmen würden, hätten sich die Brüder Manyard und Seymour Solomon sicher nicht träumen lassen, als sie 1947 ihr kleines Label gründeten. Als erklärte Klassik- und Jazz-Liebhaber setzten sie ihren Ehrgeiz darein, ambitionierten Orchestern und Bands die Chance zu von keinerlei rigider Repertoirepolitik irgendwelcher A&R-Abteilungen vorbestimmten Aufnahmen zu geben.
Reich konnten sie so nicht werden, aber dafür unter anderem unabhängig ihr Gustav-Mahler-Projekt durchziehen, als den noch die wenigsten berühmten Symphonieorchester weltweit auf dem Schirm hatten. Ihre erste große und dann gleich epochale Folk-LP hatten sie gar nicht selber produziert. Das war die Band-Übernahme eines Konzerts der Weavers, mit dem die 1957 ihr Comeback nach Jahren der Versenkung während der McCarthy-Ära in der Carnegie Hall gefeiert hatten. Hier wehte sehr mächtig ein ganz neuer Zeitgeist, den publizistisch das gleichermaßen linke wie puristische Magazin „Sing Out!“ begleitete. Diese ruhmreichen Anfänge und weiteren Triumphe der Weavers sind anderswo auf Vinyl wie CD längst so umfangreich dokumentiert, dass das von John Crosby zusammengestellte Vier-CD-Set erst mit den Folk-, Blues- und Protestsongs der frühen 60er-Jahre einsetzt, als Vanguard noch vor Columbia und Elektra Heimat für die ganze Szene wurde.
Genau genommen war das alles „Folk“, „Gospel Grain“ vom Golden Gate Quartet genauso wie der „Bosco Stomp“ der Cajun Band, der „Deep River Blues“ des Country/Bluegrass-Gitarristen Doc Watson und auch Dave Van Ronks Coverversion von „Cocaine“. Skip James erlebte hier ein Comeback, nach dem man den Veteranen mit der unverwechselbaren Falsett-Stimme für immer zu den Größten seiner Zunft rechnete. Big Mama Thornton (die mit „Ball and Chain“) und Reverend Robert Wilkins (mit seinem „Prodigal Son“) lieferten Vorlagen für die Rock-Idole der nächsten Jahre. Egal ob sie von weißer (John Hammond jr., Charlie Musselwhite) oder schwarzer Hautfarbe (Buddy Guy, Otis Rush) waren: Vanguard war ein Forum für aufstrebende junge Blues-Talente. Und das Label, bei dem sich renommierte wie neue Folk-Interpreten – Odetta und Eric Andersen, Ian & Sylvia und auch Mimi & Richard Fariña – gut aufgehoben fühlten. Joan Baez, Ikone für alle und grenzenlos bewundert, hielt dem Label bis in die 70er-Jahre die Treue. Auch Buffy Sainte-Marie veröffentlichte hier die Aufnahmen, die sie auch bei Kollegen zu einer der meistgeschätzten Komponisten und Interpreten der Folk-Szene machten.
Von denen findet man in diesem Set wie auch von Maria Muldaur oder Jerry Jeff Walker jeweils sparsam dosierte Kostproben. Aus unerfindlichen Gründen etwa den berühmten Drogensong „Codine“ leider nicht im Original von Buffy Sainte-Marie, dafür als Rarität wiederum Bob Dylans „North Country Blues“ im Mitschnitt vom Newport-Auftritt 1963. Gerade mal eine Handvoll Aufnahmen dokumentieren das Experiment, bei dem die Solomon-Brüder dem Zeitgeist folgend auch richtige Rock’n’Roller wie The Frost und Country Joe & The Fish unter Vertrag nahmen – leider nicht mit den typischen oder besten Aufnahmen, mit denen sich damals Barry Melton als einer der größten Psychedelic-Rock-Gitarristen profilierte.
Mehr Acid-Rock durfte nicht sein, weil man letztlich doch viele der zeitlosen Songs der Vanguard-Künstler -„Four Strong Winds“ von Ian & Sylvia, „I Can’t Quit You Babe“ von Otis Rush oder „I’m So Glad“ von Skip James – schlecht außen vor lassen konnte. Das Schmankerl für Kenner ist zwischendurch „Cristo Redentor“ – Gitarrist Harvey Mandel als Gast bei der Aufnahme für „Stand Back! Here Comes Charlie Musselwhite’s South Side Band“. (Ace/Soulfood) Franz Schöler