Diverse – San Francisco Nuggets 1965-70 :: Vier-CD-Anthologie mit Bands aus den goldenen Hippie-Tagen
Eine Legende wird hier ausgestellt – nicht in der Absicht, die prominentesten Bands des San Francisco der späteren 60er Jahre mit ihren besseren und großen Aufnahmen zu präsentieren, sondern mit der durchaus noblen Idee, einen möglichst kompletten Überblick zur „Szene“ damals zu vermitteln. Was einerseits löblich ist, aber die Proportionen dadurch auch so verschiebt, dass so manche Band in ihrer historischen und musikalischen Bedeutung gegenüber den herausragenden doch unziemlich aufgewertet wird.
Dass etwa die Charlatans mit mehreren Aufnahmen präsent sind, ist der Legende geschuldet. Nur hatten sie zu dem Zeitpunkt, als sie endlich einen Plattenvertrag erhielten, leider schon ihre besten Jahre hinter sich. Die Beau Brummeis wiederum, obwohl überhaupt keine typischen Vertreter, sondern mehr eigenwillige Vorlauter des sogenannten San Francisco Sound, hieraufzunehmen, war absolut korrekt. Auch wenn es diesen Sound ja in Wirklichkeit nie gegeben hat: Der war teilweise jedenfalls – auch eine publizistische Erfindung von Ralph Gleason, deren sich die Plattenfirmen dann nur zu gern bedienten.
Voraussetzung für die musikalische Vielfalt waren die Auftrittsmöglichkeiten in der Stadt in Matrix, Fillmore, Winterland, Civic Auditorium, Straight Theatre, Avalon und Carousel Ballroom. Am Ende füllten die Grateful Dead dann sogar den Cow Palace, wo vorher mal die Beatles konzertiert hatten. Auch bei den Be-Ins, Sit-ins und Acid Tests wurde musiziert – im Golden Gate Park, wie bekannt, auch öfter für Gotteslohn. Anders als der Begriff „Sound“ unterstellt, zeichnete sich diese Szene überhaupt nicht durch eine musikalische Monokultur oder gar irgendein von Produzenten, geschweige denn Plattenindustrie geschätztes und kultiviertes Klang-Ideal aus. Jugband Music und Bluegrass, Garage und Folk, Country und klassischer Rock’n’Roll, Raga und Blues waren oft Basis und das musikalisch solide Fundament, von dem aus man zu mehr drogeninspirierten Varianten abhob. Es half, dass die Rundfunkstationen hier nicht alle so stramm kommerzorientiert waren wie in anderen Teilen der USA. Wie immer sich das um 1963 bis 1965 herumgesprochen haben mag: San Francisco wurde zum Fluchtpunkt für aufstrebende Musiker, die es daheim nicht mehr so recht aushielten.
Wie Doug Sahm damals in „At The Crossroads“ sang: „You just can’t live in Texas/ If you ain’t got a lot of soul…“ Weshalb die Mother Earth-Kommune nach San Francisco zog und Janis Joplin aus Port Arthur in Texas sich dort als Sängerin bei Big Brother And The Holding Company verdingte. Eine schön kreativ aus vielen Landesteilen zusammengewürfelte Truppe – Marty Baiin aus Cincinnati, Jorma Kaukonen und Jack Casady aus Washington, D.C., Grace Slick aus Chicago – war Jefferson Airplane. Boz Scaggs wiederum war schon ein (bis nach Schweden) weitgereister musikalischer Weltenbummler, als der in Milwaukee geborene und nach Chicago, dann San Francisco umgezogene Steve Miller den Kumpel aus Teenager-Jahren bat, festes Mitglied seiner Band zu werden. „Zugereiste“ waren die alle -wie dieser aufstrebende Gitarrist Carlos Santana auch, dessen Blues-Band nur deswegen Santana hieß, weil die Vorschriften der Gewerkschart so einen eindeutigen Namen verlangten. MobyGrape schließlich, San Franciscos beste Rock ’n‘ Roll-Band aller Zeiten, hatte als Gruppe Jefferson Airplane-Manager Matthew Katz rund um den kanadischen Gitarristen Skip Spence Musiker aus allen Teilen Kaliforniens rekrutiert. Der wechselte vorübergehend bei Airplane ans Schlagzeug, nur um bald doch wieder für deren großartiges Debüt zurückzukehren.
Die Ambitionen der in diesem Box-Set versammelten Bands hätten – vom Höllenlärm, den Blue Cheer bei ihrem Proto-Heavy -Metal veranstalteten, über die kunstvollen Song-Gespinste der frühen It’s A Beautiful Day bis hin zur nicht ganz so süßen Soul Music eines Sylvester Stewart und den politisch agitierenden Songs von The Great Society oder Countryjoe & The Fish unterschiedlicher nicht sein können. Das Box- Set beginnt mit einer Aufnahme der nachmaligen Hippie-Hymne „Get Together“ – dem Original von Dino Valenti – und endet mit der Version von 1967, die zwei Jahre verspätet doch noch der Top-5-Hit für Jesse Colin Young und die Youngbloods wurde. Dazwischen findet man rare Aufnahmen von oft obskuren Bands, von denen nur ausgesprochene Spezialisten bewerten können, welchen Rang die im Vermächtnis der jeweiligen Gruppe tatsächlich einnehmen. In manchen Fällen wie dem „I Feel Like Im Fixin‘ To Die Rag“ von Country Joe & The Fish, „Portrait Of The Artist As A Young Lady“ von Seatrain oder „Revolution“ von Mother Earth griff man – notgedrungen?- auf Vinylpressungen bei der Uberspielung zurück, weil dort die Bänder längst verschollen zu sein scheinen. (Was im Fall des letztgenannten Soundtracks, auf dem später in Capitol-Besitz übergegangenen Label United Artists erschienen, allerdings etwas zweifelhaft erscheint.) In anderen Fällen – wie „Omaha“ von Moby Grape – verwendete man völlig unnötigerweise den Mono-Mix. Columbia hatte damals – ein Irrsinn! – die komplette Debüt-LP zeitgleich auf fünf Singles veröffentlicht.
Zu zeitlosen Ohrwürmern haben es die hier zu hörenden „White Rabbit“ von Jefferson Airplane, „Soul Sacrifice“ von Santana und „Psychotic Reaction“ von den Count Five gebracht. Wobei diese Band, wie ein paar andere auch, halt ziemlich generös und pauschal, ¿weil aus dem Großraum San Francisco stammend, für das Box-Set eingemeindet wurden. Raritäten für ausgepichte Kenner sind „Dark Star“ von den Grateful Dead im Single-Mix, Buffy Sainte-Maries berühmtes „Codine“ und Bo Diddleys „Who Do You Love“ in Aufnahmen des Quicksilver Messenger Service (letztere ein frühes Demo) und „Thing In ,E'“ von der Savage Resurrection, einer damals vielversprechenden Band, der wenig Nachruhm beschieden war. Dass man sich auch bei „White Bird“ hier den Mono-Mix transferiert von der gekürzten und einer arg verzerrenden Vinyl-Single-Pressung antun muss, hat mit einem eigenwilligen Verständnis von historischer Authentizität zu tun: Im Columbia-Archiv liegt die 6-Minuten-LP-Fassung derselben Aufnahme auf Band vor.