Drucksachen von Wolfgang Doebeling

Als Komplement und Korrektiv zum Kostümfilm „Velvet Goldmine“ sei dies Buch auch all jenen empfohlen, die nie die Power des Glam-Pop spürten, womöglich weil sie viel zu beschäftigt damit waten, sich über Lappalien wie Plateau-Stiefeletten und Federboas aufzuspulen. Die Fans werden sich eh draufstürzen: „UNKNOWN PLEASURES: A CULTURAL BIOGRAPHY OF ROXY MUSIC“ (Quartet, ca. 40 Mark), von Paul Stump mit Gespür für die zahllosen Paradoxien der Band-Historie geschrieben.

Das beginnt bereits beim Titel, der bisher mit Joy Division assoziiert wurde, mit Manchester Nieselregen, grauen Mänteln und schöner Trauermusik, und jetzt umgedeutet wird für die Farbexplosion der frühen Siebziger, für Leopardenfell-Imitate, hellblaue Lidschatten zu schwarzen Barten, kurzum: für die herausgeputztesten, exaltiertesten, schillerndsten Pfauen des Pop. Und der Titel paßt, wie jeder weiß, der dabei war, als „Virginia Plain“ die Bühne stürmte. Eine Debüt-Single von solcher Rasanz und Eleganz, mit soviel Energie und Stil hatte es davor nie gegeben. Und danach sowieso nicht Die Radios glühten, die Reviewer rangen nach Worten. John PeeL damals bei „Disc“ zuständig für die 45’s, bemühte Edgar Allan Poe und dessen „Terror in der Rue Morgue“. Roxy Music hatten ihr Ticket zum Pop-Olymp mit einer genialen Single gelöst, wie alle großen Bands. Es war Sommer. Das Jahr: 1972.

Fast gleichzeitig erschien das erste Album, „Roxy Music“, natürlich ohne den Hit, neun Monate später „Pyjamarama“ exklusiv als Single und mit „For Your Pleasure“ eine LP, die bis heute mit Fug und Recht als ihr formidabelster Longplayer gefeiert wird, obschon noch etliche folgen sollten, stets gegen den Rock-Strom, streng antizyklisch. War die Norm Jeans und Jams, setzten Roxy Music Camp und Cleverness dagegen, verdichtete später Punk den Pop zu kurzen, knalligen Statements, konterten Roxy mit elegischen, sukkulenten Stücken. Und als sich jede englische Pop-Combo anfangs der Achtziger auf den Synthesizer-Approach ihrer Frühzeit berief, produzierten Roxy Music transatlantischen Schlock-Rock mit anonymen Session-Musikern aus Amerika. Und dann lösten sie sich auf, sang- und klanglos. Nicht einmal eine Pressemitteilung wurde herausgegeben. Ein schnöder Abgang.

Bis dahin hatte Bryan Ferry die Band geführt wie einst Roger McGuinn die Byrds: autokratisch und immer darauf bedacht, neben sich keine Stars hochkommen zu lassen. Wer immer bei Roxy Music zu kreativen Höchstleistungen auflief, weckte Ferrrys Eifersucht und wurde aus der Band gedrängt Bei aller musikalischen Innovation, bei aller Ironie der Texte, trotz der vielen Image-Wechsel und Marketing-Coups, funktionierte diese nach außen hin postmodernste Band intern nach profanen, allzu menschlichen Regungen und Regeln. Bildung schützt vor Torheit nicht Dabei war es zu Beginn gerade die personelle Chemie, die extreme Unterschiedlichkeit der Charaktere, die jene Souveränität und Subtilität im Umgang mit musikalischen Versatzstücken und lyrischen Zitaten erst ermöglichten, für die Roxy Music berühmt waren. Eine prekäre Mixtur: Ferry, Bauernsohn aus dem County Durhain, entdeckt in Newcastle den Rhythm & Blues und entwickelt ein Faible für Glitz und Kitsch; Brian Eno aus Suffolk, Sohn eines Briefträgers, stilisiert sich zum Exzentriker und entlockt seinen Tasteninstrumenten, obwohl er sie kaum spielen kann, mit Vorliebe schrille Töne; Phil Manzanera, ein Ausbund an Kompetenz und Selbstdisziplin, lernt Gitarre mit Hilfe der kubanischen Folk-Platten seiner Mutter: Andy Mackay schließlich, der kulturbeflissene Sympath, der sich tagelang mit Saxophon und Oboe vergräbt. Keiner von ihnen wollte mit Paul Stump reden, alle hatten sie Angst ein Mehr an authentischen Informationen könnte den Mythos Roxy Music beschädigen. Dennoch gelingt Stump ein stupendes Porträt dieser Ideenfabrik, die Ferry nach einer einst plüschigen Kinokette benannt hatte.

Am Niedergang der Roxy-Kinos ist das Fernsehen schuld, der Niedergang von Roxy Music, schreibt Stump, wurde eingeläutet, als der Popsong vom Mittel zum Zweck degenerierte. Heute schickt Bryan Ferry seine Söhne in die Elite-Anstalt Eton. Ist auch dekadent. 4,5

Ebenso lesenswert, wenn auch aus völlig anderen Gründen, ist „ELVIS, HANK, AND ME: MAKING HISTORY ON THE LOUISIANA HAYRIDE“ (St Martins’s Press, ca. 50 Mark) von Horace Logan. Der Autor, ein schlitzohriger Redneck mit Schußwaffen-Tick und Good-Old-Boy-Mentalität, war langjähriger Produzent und Moderator der wichtigsten Radio-Show der amerikanischen Musikgeschichte neben der Grand Ole Opry, und so bekommt der Leser alles aus erster Hand: Legenden, Geschichten, Hintergründe über die formativen Jahre der Country Music und vieler ihrer größten Künstler: Hank Williams vor allem, Johnny Horton, Webb Pierce, Faron Young, Johnny Cash, George Jones, und – last not least – Elvis Presley.

Wie das Konkurrenzunternehmen der Opry in Nashville, war die Hayride ein vierstündiges Live-Konzert, das jeden Samstag Abend vom Munkipal Auditorium in Shreveport, Louisiana, aus in die Wohnstuben von vielen Millionen Haushalten in fast ganz Amerika übertragen wurde. Doch während die Opry vornehmlich etablierten Stars eine Plattform bot, ging die Hayride Risiken ein und stellte ständig neue Namen vor. Entsprechend offener war das Publikum, und zwischen 1948 und 1955 waren Logan und seine Leute Mentoren, Mäzene und Manager für die bedeutendsten Talente ihrer Zeit „The Cradle Of The Stars“ wurde die Show so nicht von ungefähr genannt, und Logan erzählt so liebevoll wie minutiös von jenen aufregenden Tagen. Hanks Aufstieg und Fall, die beispiellose Faszination seiner Persönlichkeit und seiner Songs, seine innere Zerrissenheit, seine Schwächen, die fatalen, ja finalen Zusammenhänge. Oder die Kapitel über Elvis, der als scheuer 18jähriger aufkreuzte, hinter sich noch frisch die Enttäuschung seines jungen Lebens. Er war von der Bühne der Opry gebuht worden, und der Ansager hatte ihm höhnisch angeraten, seinen Job als Lastwagenfahrer nicht an den Nagel zu hängen. Nein, Nashville war 1954 noch nicht bereit für diesen Jungen aus Memphis und seine wilde Musik, die sich „Rockabilly“ nannte und doch nichts weiter war als „vulgär“ und „schamlos“, wie anderntags ein Journalist urteilte. „If you weren’t fortunate enough to be at the Hayride in person üke I was“, schreibt Johnny Cash im Vorwort, „this is the next big thing“. 4,5

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