DRUCKSACHEN :: Von Wolfgang Doebeling
Evident ist, daß der Unterhaltungswert einer Biographie nicht unbedingt mit ihrer Wahrheitstreue korrespondiert. Das gilt erst recht für Autobiographien, die ja realiter meist keine sind, sondern nur ein Patchwork aus Erinnerungsfetzen, die einem des Schreibens Kundigen überantwortet werden. Die Versuchung, zu euphemisieren, zu zensieren, zu heroisieren ist mächtig. Und übermächtig, wenn man noch mitten im Leben steht, als Künsder noch eingebunden ist in einen Verwertungskreislauf, aus dem sich zu verabschieden kommerziellem Selbstmord gleichkäme. Da hackt eine Krähe der anderen kein Auge aus. Von Payola bis zu Fredric Dannens „Hit Men“ gingen alle Enthüllungen, die wehtaten, von Outsidern aus oder von Insidern, die nichts mehr zu verlieren hatten. Das Musik-Busineß bestraft Nestbeschmutzer nicht weniger streng als Hollywood oder das House Of Lords.
Chuck ,J’m innocent“ Berry wußte das, als er sich in der Kunst des Weglassens übte: Mary Wilson und Ronnie Spector wußten es, als sie sich mäßigten und ihre Rachegelüste zügelten; und David Crosby wußte es, als er sich nicht zügelte und seine Haut zu Markte trug. Gedankt hat man es ihm nicht, während die narzistischen Vexierspiele und Unschuldsbekundungen von Chucky-be-good allendialben auf augenzwinkerndes Verständnis stießen. Vergeben und vergessen.
SKORQB JONES darf auf ähnliche Nachsicht hoffen, obwohl er nicht Chucks Chuzpe hat, die zahlreichen Tiefpunkte seines Lebens in ,4 Lived To Teil It All“ (Villard, ca. 34 Mark) auszuklammern. „A rough-and-tumble life of great music und hard living“, untertreibt untypisch der Klappentext, und es ist das Verdienst dieses Buches, beides korrelierend zu beleuchten. In den Zeiten der Depression aufzuwachsen, war sicher nirgendwo leicht, in der Einöde von East Texas am allerwenigsten. Trotzdem wird nicht mit Larmoyanz um Sympathie geheischt, der Ton ist ernst, aber lakonisch. „bu sure can’t replace blood with alcohol“, schreibt Jones, „but folks say daddy tried.“ Sucht und Skandale werden nicht ausgespart, doch kommt Tammy Wynette erstaunlicherweise besser weg als in anderen Bios. The Possum, wie der größte Country-Sänger aller Zeiten gern genannt wird, gibt sich hier galant und großherzig. Seinen von Lefty Frizzell übernommenen und dann zur Perfektion verfeinerten Gesangsstil, unzählige Male kopiert und unerreicht, beschreibt er bescheiden: „Wenn ich singe, mache ich aus einer Silbe einfach fünf.“ Wenn es so leicht wäre. Der Mann ist ein Gigant. Keith Richards: „I bask in the glow of having worked with George Jones. Gram Parsons must be smiling.“ Und wir mit ihm.
4,5 Musikhistorisch mag CARL PERKINS dagegen ein kleineres Licht sein, und seine Regentschaft als „King Of Rockabilly“, wie er auf dem Umschlag von „Go, Cat, Go!“ (Hyperion, ca. 50 Mark) tituliert wird, währte nur kurze Zeit. Doch war der Verfasser von „Blue Suede Shoes“ und „Matchbox“ in seinen besten Jahren Katalysator und Kristallisationspunkt für eine ganze Jugendkultur. „He really stood for freedom“, erinnert sich Bob Dylan, und Co-Autor David McGee versteht es, die in mehr als hundert Interview-Stunden gewonnenen Informationen und Erkenntnisse in eine so positive Prosa zu packen, daß sich Dylans Reverenz auch dem Leser offenbart, schlüssig und, ja doch, spannend.4,5 Seriöser geschrieben und literarisch weniger mitreißend ist „Miss Rhythm“ (Donald I. Fine, ca. 45 Mark), die Lebensbeichte von RUTH BROWN. Die Rhythm & Blues-Veteranin, Vorbild Aretha Franklins und vergöttert von Little Richard, hat einen ausgeprägten Hang zum Gefühligen, was einige Passagen schwer passierbar macht. Hochinteressant ist das Buch trotzdem, und sei es nur wegen der Gründungsgeschichte der Rhythm 8C Blues-Foundation und Ruth Browns epischer Grabenkämpfe mit Ahmet Ertegun, dem Label-Mogul, dessen Adantic Records von vielen „the house that Ruth Brown built“ genannt wird – und nicht von ungefähr, wie diese Seiten belegen. 4,0 Ohne Mitwirkung des „Godfather Of Soul“ mußte Geoff Brown das Material für „JAMES BROWN: A BIOGRAPHY“ (Omnibus, ca. 40 Markt) zusammentragen. Dennoch wartet er mit mehr relevanten Fakten auf als die Autobiographie des unberechenbaren Monomanen. Pamologische Selbstgefälligkeit und musikalische Intensität scheinen seltsame Bettgenossen zu sein. Nach dieser Lektüre hat man immerhin eine Ahnung, warum es so höllisch funkt in der ewig mit Gott und der Welt im Clinch liegenden Hitfabrik. Schade nur, daß die Discographie lückenhaft ist und ein Index völlig fehlt. 3,5 „YOU SEND ME: THE LIFE AND TIMES OF SAM COOKE“
(Virgin, ca. 45 Mark) von Daniel Wolff beginnt im Dezember 1964 mit dem jähen Ende des damaligen Soul Brother No. 1, der unter mysteriösen Umständen, angeblich in Notwehr, erschossen wurde. Cookes Wirken und Werk, von den Gospel-Anfängen bis zum gefeierten Pop star, ist voller Brüche und Widersprüche, aber nicht weniger bemerkenswert als das von James Brown oder Ray Charles. Als „Erfinder der Soul Music“, wie ihn der Cover-Text preist, kann man ihn freilich nicht durchgehen lassen. Arrogant sei er gewesen und opportunistisch, doch seine Songs wie „Wonderful World“ gingen um die Welt, und seine sanft raspelnde Stimme betörte vor allem die Ladies. Eine schillernde Figur, ein ehrliches Buch. 4,0 15 Jahre lang hat Victoria Kingston für „SIMON & GARFUNKEL. THE DEFINITIVE BIOQRAPHY“
(Sidgwick 8C Jackson, ca. 45 Mark) recherchiert und, abgesehen von Paul Simon, mit so ziemlich jedem gesprochen, der zum erfolgreichsten aller Duos etwas mitzuteilen wußte. Kindheit in Queens, Highschool-Pop als Tom 8t Jerry, Folk-Beflissenheit, Millionseller, „Mrs. Robinson“, Trennung, spätere Wiedervereinigung vor 100 000 Zuhörern im Central Park, alles hübsch chronologisch, manches eher langatmig. Über das Verhältnis der beiden (hier Kopf, da Stimme) zueinander wird mehr spekuliert als aufgeklärt, wie es dem Band bei aller Faktenfülle überhaupt an analytischer Tiefe mangelt. Like a bridge overshallowwater. 3,0