Drucksachen von Wolfgang Doebeling

Zur Film-Premiere des „Rolling Stones Rock And Roll Circus“ in London zollte die Britpop-Nomenklatura fast vollzählig Tribut. Paul Weller tanzend, Jarvis Cocker in voller Clowns-Montur, Liam Gallagher im Dauer-Clinch mit Patsy Kensit und Bruder Noel in Ehrfurcht erstarrt. Erstaunlich, bedenkt man, daß etliche der Zirkusartisten, von Brian Jones über John Lennon bis Keith Moon, längst das Zeitliche gesegnet haben und auch die Oberlebenden wenig Neigung verspürten, das improvisierte Happening publik zu machen. Den multimedialen Spätstart komplettiert nun „ROCK AND ROLL CIRCUS“ (Iracks, ca. 30 Mark), die Neuauflage eines einst opulenteren Fotobandes von Michael Randolph: schöne, intensive Aufnahmen streng in Schwarzweiß, meist auf Jaggers animalischen… äh_ Magnetismus focussierend, quadratisch aufgemacht im lOinch-Format, limitiert auf 2000 Exemplare. 4,0

Clinton Heylin, Autor der Dylan-Bio „Behind The Shades“ und von „Behind Closed Doors“, eines durchaus nützlichen Kompendiums aller Recording Sessions des Enigmas, vervollständigt seine Bob-Trilogie mit „BOB DYLAN: A LIFE IN STOLEN MOMENTS – Day By Day 1941 -1995“ (Book Sales, ca. 45 Mark). „Eine Schatztruhe der Dylanologie“ verspricht der Klappentext und tatsächlich findet sich Faszinierendes in diesem akribisch recherchierten Kalendarium, etwa die Zeitfolge und Umstände der „Desire“-Sessions oder die mähliche Desintegration der Cambridge Folk Scene. Die meisten Einträge dürften indes nicht einmal für eingeschworene Bobfans von Interesse sein, z. B. „1975, November 1, South Eastern MA University, North Dartmouth, MA: There is a soundcheck at 6-30 PM.“ Alle Wetter! 3,0

Ähnlich detailversessen ist „THE ULTIMATE CLIFF“ (Simon & Schuster, ca. 45 Mark) von Peter Lewry und Nigel Goodall, eine 400seitige Faktensammlung über die Karriere eines Mannes, der schon ein paar Jährchen länger die Bühnen der Welt bewohnt als seine Bobness und dessen Jesustrip gräßlicher noch und endgültiger zerstörte, was an Rock ’n‘ Roll-Substanz fraglos da war und den Beatles den Weg ebnete. Heute ist Sir Cliff, immerhin Erfinder des Britpop, Englands populärster Bürger. Einer Umfrage der Londoner „Times“ zufolge würde ihn jeder sechste Brite gar zum König wählen. Vielleicht, weil eine Richard-Dynastie mangels Nachkommenschaft von vornherein dem Untergang geweiht wäre und so die Apanagen und Abfindungen für ertauchte Bälger und angeheiratete Bankrotteure eingespart würden. Long live King Cliff. 4,0

Ab britische Rock-Ikone noch nicht auf Cliff-Niveau, aber entgegen etlichen Totsagungen beständig aufholend ist Paul Weiler. „MY EVERCHANGING MOODS“ (Omnibus, etwa 40 Mark), die so trefflich betitelte wie lesenswerte Biographie stammt von dem „Record Collector“-Editor John Reed, der sich auch hier im Einklang mit den redaktionellen Gepflogenheiten seines Magazins weiß, will sagen: keine Kritik, weder an Weilers Rücksichtslosigkeit beim Abschied von The Jam, noch am schnieken, seelenlosen Genudele der späten Style Council oder an seinem Rückfall in soliden, aber sicheren Seventies-Rock. Die ausführlichen Passagen über Kindheit und Jugend entschädigen dafür, wie auch die Würdigungen zahlreicher Weiler-Gefährten, die Reed interviewte. 3,5

„RICHARD THOMPSON: STRANGE AFFAIR“ (Virgin, ca. 30 Mark) von Patrick Humphries stillt endlich die Neugier auf den brillanten Songschreiber und Gitarristen, den bekennenden Moslem und Motorrad-Fetischisten, den Dichter des Abgründigen und Beobachter menschlicher Insuffizienz. Wenn der schlüpfrige Boden zwischenmenschlicher Beziehungen betreten wird, liegen die Sympathien des Autors freilich auch hier beim Kult-Heroen, selbst dann noch, wenn die Umstände gegen ihn sprechen. Die britische Folk-Scene ist die Konstante, vor der seine Talente Profil und Statur gewinnen. Die Discographie ist hervorragend. 4,0

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