Element Of Crime – Mittelpunkt der Welt
Von den Autoren seiner Generation ist Sven Regener der größte Idylliker. Er ist auch der einzige, der sowohl das Deutschland der Provinz wie der Großstadt abbildet – und zugleich eine vollkommen künstliche Welt erschaffen hat. In Regeners Poesie ist immer der Sommer vorbei, der Herbst dräut, der Winter naht. Die Liebe ist zu Ende, das Herz gebrochen, alles geht irgendwie weiter, immerzu untröstlich und Spaß dabei. Auf stoische Weise schreibt dieser Dichter seine trockenen Sottisen und bauernschlauen Aphorismen fort. Nur in seinen Songs gibt es diesen phantastischen Realismus aus deutschem Trübsinn und wehmütigem Kneipen-Ressentiment, die Patina von filterlosen Roth Händle-Zigaretten, Hinterhof-Refugien und naßkalten Sonntagen.
Mehr noch als in seinen eloquenten Romanen entwirft Regener in seinen Liedern vollkommene Melancholien, perfekt evozierte Stimmungen aus wenigen Worten, Weltschmerz als Wolkenkuckucksheim von nebenan. Regeners Milieu ist so lakonisch und somnambul wie das Deutschland in Wim Wenders‘ Filmen der 70er Jahre, in denen einfach geschaut wurde und die Landschaft betörend aussah wie das Amerika bei John Ford. Die virtuose Band Element Of Crime macht die Seelenlandschaft hörbar, indem sie Chanson und Couplet, Zirkuslied und Ballade zusammenfließen läßt. Es ist eine wundersam anachronistische, niemals anglo-amerikamsche Musik mit raffinierten Gitarren-Figuren, Orgel, Mandoline, Akkordeon, Harmonika, wenigen Streichern und Regeners Trompete, die den Sehnsuchtston angibt.
Vier Jahre nach der Herbstplatte „Romantik“ gibt es nun die Herbst-Platte „Mittelpunkt der Welt“, und sie ist womöglich noch schöner. Regener kehrt zurück nach Delmenhorst, zur Straße mit „Getränke Hoffmann“, erinnert sich vergangener Lieben und verpaßter Chancen, nimmt die Straßenbahn des Todes. Still wird das Echo sein, weit ist der Weg. Und verstünde man kein einziges Wort, so bliebe doch der einzigartige Klang von „Wenn der Winter kommt“. Daß es früher dunkel wird und die Seen zugefroren sind, bekommt hier die Bedeutung einer Ungeheuerlichkeit. Metaphysisches Heimweh strömt in dieser Herzkammermusik, ohne Pathos, ohne Kitsch, mit subtilen musikalischen Verweisen auf ein altes Land vor Pop und Rock. Musik, die nicht lügt.