Elliott Smith – Either/Or :: DOMINO/RTD

Noch nie hat jemand, der mit Mütze, Koteletten und Tätowierungen wie ein Biker aussieht, eine so glänzende Platte aufgenommen. Vielleicht Steve Earle in seinen finstersten Zeiten. Elliott Smith sieht aus White Trash. Andererseits ist „Good Will Hunting“ – für den Soundtrack, das muß man zuallererst überall lesen, hat Smith einige Songs beigesteuert – ja auch ein genialer Unterprivilegierter. „Either/Or“ ist schon Smiths dritte Platte, aber gewarnt hat niemand aus den gewöhnlieh gut informierten Kreisen. Das vorzügliche britische Label Domino wird freilich nicht lange Freude haben an seinem besten Songschreiber: Schon das nächste Album, bereits fertiggstellt, wird in Deutschland bei Universal erscheinen.

Uns ist das egal, und dem selbstverständlich uneitlen Elliott Smith sowieso. Im amerikanischen Songbook kennt sich Smith so gut aus wie viele Kollegen vom College, doch brachte in den letzten Jahren kaum jemand Ordentliches zustande. Mediokre Songschreiber vom Schlage Matchbox 20 sind trostlos in ihrer biederen Handwerklichkeit und Harmlosigkeit, und seit dem Verschwinden der großartigen Dillon Fence und dem Schrumpfen der einst herzzerreißenden Jayhawks fehlt der begnadete Nachwuchs.

Elliott Smith stammt aus Portland, Oregon, einer unverdächtigen Adresse am Pazifischen Ozean. Seine milden, unspekulativen Lieder entfalten einen Zauber, der nachwirkt wie allenfalls jene von Ron Sexsmith. Es reicht Smith die akustische Gitarre – kein einziger Musiker ist im Booklet erwähnt. Um so mehr erscheinen in der Ahnengalerie: Buffalo Springfield, Big Star, The Byrds und – letzthin -Matthew Sweet sind zu nennen, die geistige Westcoast sowieso. Wie der sonnige, stets aber depressive Sweet schreibt Smith seine Songs mit einer Trauer, die das äußerlich Friedliche sprengt „I’m in love with the world through the eyes of a girl/ Who’s still around the morning after/ Shell decide what she wams/ I’ll probably the last to know“, singt er lakonisch, und dann kommt die letzte Zeile, die der Titel des Stücks ist: „Say yes.“

Spezifisch amerikanisch leuchten die Bilder dieser Geschichten, etwa das Szenario von „Rose Parade“, so zart und trügerisch wie in Randy Newmans „JoUy Coppers On Parade“: „They asked to come down and watch the parade/And to march down the street like a ,Duraceir bunny/ (.“) And when they clean the street It’ll be the only shit that’s left behind/ Won’t you follow me down to the rose parade?“ Das fatalistische Zentrum von „Either/Or“ bildet „Pictures Of Me“, ein Stück von Cohenscher Schärfe und Rätselhaftigkeit: „Saw you and me on the coin-op tv/ Frozen in fear every time we appear/ So sick and tired of all the pictures of me/ Everybody’s dying just to get the disease.“ Und alles kulminiert in der „Ballad Of Big Nothing“.

Der Plattentitel, man glaubt es kaum, bezieht sich auf Kierkegaards Schrift „Entweder-Oder“, die Elliott tatsächlich gelesen hat. Wer durch Sörens Ästhetik-Schule gegangen ist, der ist fürs Leben gereinigt und darf aussehen wie White Trash.

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