
Evan Uschenko ist ein Nostalgiker. Für sein zweites Album unter dem mystischen Pseudonym Ghost Woman hat er sich in einem riesigen Haus verschanzt und nichts anderes gemacht, als sich olle VHS-Videos reinzuziehen,seine Mahlzeiten im Hinterhof über offenem Feuer zu brutzeln und, na klar, Songs zu schreiben. Dass dieser rustikale Versuchsaufbau ergiebig war, beweist allein schon die Tatsache, dass zwischen dem Debüt des Multiinstrumentalisten, „Ghost Woman“, und dem Nachfolger „Anne, If“, nur knapp sieben Monate liegen.
Evan Uschenko ist ein Nostalgiker
Das goldene Spätsechziger-Authentizitäts-Siegel klebt auch auf der neuen, natürlich wieder analog und schön rumpelig eingespielten Platte des in Arizona lebenden Kanadiers. Wer Schlagwortschubladen aufziehen will, muss auch diesmal „Psychedelia“ und „Garage Rock“, „Roadtrip“ und „Kalifornien“ bemühen. Die Liedtexte sind so offen und flexibel gehalten, dass man alles und nichts hineininterpretieren kann. Das ist einerseits ein freundlicher Service an Hörer und Hörerinnen. Andererseits fehlen aber auch die prägnanten Storys – als Kontrast und gleichzeitig Symbiosepartner für Musik, die stets mehr die Atmosphäre sucht, als einen kompositorischen roten Faden zu finden.
Wer sich einen passenden Film dazuimaginiert, bekommt einen soliden, urigen Soundtrack. Die Szenen dürfen bloß nicht zu lang sein. Die beiden Miniaturen „Welcome“ und „So Long“, die das Album einrahmen, sind Fragmente, man muss sie von der Tracklist subtrahieren. Es bleiben neun Songs, die um die meditative, mitunter gar hypnotische Qualität des Repetitiven wissen. „Down Again“ kommt mit nur drei Textzeilen und einer halben Songidee aus. Auf Albumlänge und ohne visuelle Komponente ist dieses minimalistische Konzept dann aber doch etwas ermüdend, zumal das Debüt die besseren Melodien hatte. „3 Weeks Straight“, das an Crosby, Stills & Nash erinnernde „Arline“ und der Alternative-Country-Schunkler „Lo Extraño“, inklusive Pedal-Steel- Verzierungen, ragen heraus. Für das nächste Album darf Uschenko sich aber gern etwas länger als sieben Monate Zeit lassen.
Autorin: Simone Mautz
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