Heinz Rudolf Kunze

Dein Ist Mein Ganzes Herz

Mit „Ich glaub, es geht los“ grüßte er siegesgewiss die Grugahalle- „7000 Geißlein und ich der blaue Bock“. Selten wusste ein Sänger so gut, was die Stunde geschlagen hatte, wie Heinz Rudolf Kunze in jenem Frühjahr 1985, als der Autor von „Reine Nervensache“ und „Der schwere Mut“, der Umdichter von Ray Davies‘ „Lola“ plötzlich „Dein ist mein ganzes Herz“ schmachtete.

Kunze fortan aus jedem Radio und in der „Hitparade“. Durfte der das? Es war keine Freude, Heinz und seine Musiker bei Dieter Thomas Heck zu sehen. Aber einer musste es wohl machen, könnte man in einer Paraphrase von „Dies ist Klaus“ sagen. Einer musste für alle gehen. „Dein ist mein ganzes Herz“ machte Kunze sogar bei uns Neuntklässlern berühmt.

Randy Newman, schön und gut -„Väter“. Aber näher ging uns „Vertriebener“, darin Kunzes Vater- und Heimatlosigkeit, Flüchtlingslager Espelkamp, „Ich will keine Revanche, nur Glück“ und das unvergessliche „Ich werd‘ überall begraben sein“. Damals zeterten noch die Landsmannschaften und Trachtenvereine, und Kunze ließ uns spüren, dass es schlimmer ist, niemals eine Heimat zu haben, als eine zu verlieren.

Er war unser Pete Townshend auf dieser Platte, unser Elvis Costello, unser Udo Jürgens. „Du wirst kleiner, wenn du weinst“ und „Brennende Hände“ hörten wir lieber im Walkman als mit den Kumpels, „Fallensteller“ erzählte uns vom Beischlaf und von Eifersucht, und „Madagaskar“ erinnerte an den Plan der Nazis, die Juden dorthin auszusiedeln, wo sie es schön warm gehabt hätten.

Nun hören wir einige Demos, Maxi-Versionen und auch zwei unbekannte Songs, das gruselige „Neonröhren“ und das aufgekratzte „Hamburg um vier“, die Kunze wohl mit allzu gutem Grund nicht auf die Platte genommen hatte. Sie hätten ihn nicht weiter, also: nach vorn gebracht.

„Wunderkinder“ (****) (1986) ist kaum schwächer, wenn auch die Hits „Finden Sie Mabel“ und „Mit Leib und Seele“ in penetranter Allgegenwart unseren Alltag begleiteten. „Wunderkinder“ ist der bleibend gültige Song über die Bundesrepublik Deutschland („Wir werden noch viel schneller als die anderen Kinder alt“), „In der Lobby ist noch Licht“ wie auch „Der Schlaf der Vernunft“ gehören zu Kunzes gelungensten Stücken- und „Ich brauch‘ dich jetzt“ ist das ganz große Liebeslied.

In seiner Musik drohte indes auf der einen Seite das Bierzelt, auf der anderen der Schwulst. Bläser. Phil Collins. Zwei Maxi-Versionen, drei Live-Fassungen, „Mabel“ mit englischem Text: „Marlowe, I’m beggin‘ you…“

Kunze stemmte sich mit „Einer für alle“ dagegen und triumphierte 1990 mit „Brille“(**** 1/2) auf der ein Mitsing-Schlager wie „Wenn du nicht wiederkommst“, ein wüst getrommelter „Kriegstanz“ und der bittere Herzschmerz von „Alles gelogen“ („Isses nich schön hier?- Doch, schön.“) sich mit der komplizierteren Poesie der Meisterstücke „Tausendschön“ und „Stirnenfuß“ treffen.

Der Rock’n’Roll-Brecher „Doktor, Doktor“ ätzt: „Ich trinke ja nicht, weil’s mir schmeckt, sondern um besoffen zu sein.“ „Brille“, Kunzes brillanter Rechenschaftsbericht, belehnt zwar Randy Newmans „Four Eyes“, und das vordergründig gemütlich-melancholische „Der alte Herr“ ähnelt den Liedern „Old Man On The Farm“ und „Ghosts“ desselben- aber warum nicht vom Besten klauen? Auch die Demo- und Live-Zugaben- darunter „Doktor, Doktor“ und „Alles gelogen“- überzeugen. Besser wurde es nicht.

Aber doch sehr gut. „Macht Musik“ (****) (1994) ist das letzte Album mit der Verstärkung um Peter Miklas- das wussten sie aber noch nicht, als sie die Platte aufnahmen. Im nachhinein ist natürlich immer vom „Plastikschlagzeug“ und den „Keyboards“ der 80er Jahre die Rede- auch im Kunze-Lager setzte man nun auf bratzige Gitarren, die B3-Hammond-Orgel und einen aufgekratzten psychedelischen Sound, sehr zum Vorteil der Stücke „Fetter alter Hippie“ und „Leg nicht auf“ sowie des galligen Rezitativs „Tohuwabohu“. Jetzt noch die ersten vier Alben. Bitte. (Warner)