House Of Fun – The Story Of Madness :: von John Reed

Von außen produktive Hitfabrik, intern aber unspaßig:das protobritische Pop-Phänomen unter der Lupe.

Fast wäre „Madstock“ im letzten Moment geplatzt, jenes gigantische Madness-Comeback im Londoner Finsbury Park 1992, als 80.000 nostalgiewütige Fans noch einmal so richtig ihre Jugend hochleben lassen wollten. Der Vorschuss war gestohlen worden, immerhin 600.000 Pfund Sterling in großen Scheinen, und das Madness-Management „was not amused“. Die Band, so wurde dem unglückseligen Veranstalter mitgeteilt, werde nicht auftreten, wenn nicht vorher Bares in Strömen flösse. Eine Katastrophe kündigte sich an, denn Madness-Fans, obschon frivol-fröhlicher Popmusik nicht abhold, waren nicht von der Sorte, die man hätte so grausam enttäuschen wollen. Working class, you know. Vom Leben gehärtet und gewalterprobt. Gut also, dass es dem Veranstalter irgendwie gelang, wenigstens die Hälfte der Vorschusszahlung auf den Tisch zu blättern. Zehn Minuten danach tanzten Madness vertragsgemäß über die Bühne. Die paar Verletzungen, die hinterher behandelt werden mussten, waren Kollateralschäden des ausgelassen-rabaukigen Massentanzvergnügens.

Die verblüffenderweise erste seriöse Band-Biografie über die britische Institution Madness setzt sich wie ein Puzzle zusammen, ein reichlich vertracktes indes. Denn das so zuverlässig gute Laune versprühende Hitlieferanten-Kollektiv war keins, die Band-Chemie eine allzeit prekäre. John Reed, ehemaliger Redakteur des „Record Collector“ und sorgfältiges Recherchieren gewohnt, wundert sich über so manche Ungereimtheit. Gegründet 1976, jedoch Punk-resistent, stürzte sich die ehrgeizige Combo auf Ska, flirtete mit 2Tone, ohne in diesem Lager ernst genommen zu werden, und reüssierte schließlich mit intelligent-ironischem, Music-Hall-inspiriertem Pop. Nutty, baggy, funny: The hits just kept on coming.

Madness buchstabierten Freude für Englands Jugend, die unter Thatchers Knute litt. Dafür wurden sie geliebt, doch hinter den Kulissen ging es wenig freudvoll zu. Auch das Umfeld wurde infiltriert, von rechtem Gesindel und rassistischer Gesinnung. Eine widersprüchliche Gemengelage, die Reed zu entwirren sucht, indem er eine Vielzahl von Gesprächen führt, mit Insidern wie mit Beobachtern an der Peripherie des komplexen, schwer durchschaubaren Geschehens. Er umkreist das Phänomen, dechiffriert kulturelle Codes, seziert das soziale Ambiente, beleuchtet die Business-Seite und kontextualisiert so die mannigfachen Wirrnisse gruppendynamischer und gefühlsbedingter Art. Troublemaker und Troubleshooter werden ausgemacht, der Autor ergreift auch Partei, nimmt persönlich Stellung, aus der großherzig verzeihenden Warte des Fans zumeist, beansprucht aber keine Deutungshoheit, sondern überlässt es dem Leser, eigene Schlüsse zu ziehen. Don’t read that! Read this! (OMNIbus, ca. 35 Euro)

von Howard Sounes

„Blöde Fotze! Ich muss gleich kotzen!“ soll Paul McCartney gesagt haben, als man ihm eine Rede Yoko Onos vorspielte. Nicht die feine englische Art, aber kein einmaliger Ausrutscher, weiß der Autor, dem zum privaten Paul eh mehr einfällt als zum Künstler. Weshalb im Titel der Originalausgabe das Wörtchen „intimate“ nicht fehl am Platze ist, vorausgesetzt, das Gesudel ist nicht erfunden. Erhellender sind die Musikanalysen. „Let It Be“ und „The Long And Winding Road“, so erfahren wir, „ähneln beide ‚Hey Jude‘, da das Klavier durch die Songs führt.“ (droemer, ca. 24,95 Euro)

The Prodigy ++¿

von Martin Roach

Vom Technounderground in oberste Charts-Regionen: Martin Roach war dabei, als The Prodigy ihren Durchbruch schafften, mit extremer Musik, ohne faule Kompromisse. „Selbstbewusstsein und Hunger“, schreibt Liam Howlett, Mastermind der Big-Beat-Pioniere, im Vorwort, „darum dreht sich alles.“ Talent sei hilfreich, man müsse schon „einen Funken schlagen können“, wichtiger sei aber „die totale Überzeugung“ gewesen, „dass wir uns einen Scheiß dafür interessieren, was andere denken.“ (hannibal, 15 Euro)

von Michael Rieth

„Ein Leben für Jazz, Blues und Rock“, wie der Untertitel dieser Biografie keineswegs übertreibt, bietet vor allem dann lohnende Lektüre, wenn entlang der Stationen eines solchen Impressario-Lebens die Bedingungen dafür durchscheinen und die darin aufgehobene Zeit plastisch hervortritt. Rieth leistet das, insbesondere im Hinblick auf den Advent des Jazz, den Lippmann schon als 16-Jähriger publizistisch propagierte, während des Krieges, wofür ihn die Nazis inhaftierten. Hochachtung. (palmyra, 20 euro)

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