How To Dress Well :: Total Loss
Im vergangenen Monat haben wir uns an dieser Stelle mit dem Themenkomplex „Pop und Metaphysik“ befasst; ergänzend dazu möchte ich Ihnen, liebe Leser, nun noch zwei bedeutende Vertreter der zeitgenössischen Verbindung von Pop und Philosophie vorstellen. Zum einen den singenden Hegelianer Tom Krell, der unter dem Namen How To Dress Well gerade eine neue EP mit dem Titel „Total Loss“ (Weird World) veröffentlicht hat: Mit leidenschaftlich drängendem Falsettgesang schmachtet und barmt er darauf im Stil des jungen R. Kelly zu zärtlich zusammengefitzelten Beats und knisternden Klangpanoramen. Fortgeschrittene Soundbastelei trifft auf virtuose Vokalakrobatik: Die Kunst des erotisierten Uk-a-tschuck-Stoßatmens beherrscht Tom Krell in ebenso begeisternder Weise wie die Vervielfachung der eigenen Stimme zu einem vollwertigen Call-and-Response-Gospelchor. Im herzzerreißenden Eröffnungsstück versinkt ein Mollmotiv vom Piano samt verzweifeltem Mutter-warum-hast-du-mich-verlassen-Gesang allmählich in knirschendem Noise; später gibt es dann aber auch dramatisch sich emporschwingende Synthie-Streicher zu Rhythmen aus Micky-Maus-Gequieke zu hören.
Auf früheren Platten wie dem 2010 viel gefeierten Albumdebüt „Love Remains“ pflegte Krell noch einen weitaus verwascheneren Sound; damals wirkte sein R’n’B-Gesang so, als wehe er aus der Erinnerung an den Soundtrack einer verflogenen Jugend heran. Von dieser Nostalgie zweiter Ordnung ist auf der neuen Platte nichts mehr zu spüren: „Total Loss“ strotzt nur so vor dramatisch Unmittelbarem; alle musikalischen Mittel, die eingesetzt werden, dienen zur Verstärkung von Gefühl und Wahrhaftigkeit. Im Hauptberuf befasst sich Krell übrigens mit der immer noch überfälligen Verbindung von analytischer Philosophie und deutschem Idealismus, auch hat er schon einige Texte von Hegel ins Englische übersetzt. Dafür, sagt er, sei sein Deutsch gut genug; um ein Mädchen in einem Club anzusprechen, reiche es hingegen nicht, es sei denn, es handle sich um eine Hegelianerin.
Der aus Glasgow stammende Sänger und Produzent Rudy Zygadlo meidet hingegen den Besuch von Clubs. Als wesentliche musikalische Inspiration bei der Verfertigung seiner neuen Platte „Tragicomedies“ (Planet Mu) hat er den gleichzeitigen Genuss von halluzinogenen Drogen sowie der Großen Fuge von Bach benannt. Dabei herausgekommen sind 13 Lieder, in denen Zygadlo zu minimalistischen Klavierfiguren, stolpernden Beats und bis zum Platzen geblähten Bässen mit unablässig modulierter und manipulierter Stimme beispielsweise die Muse Melpomene besingt, die im griechischen Altertum für die Trauergesänge zuständig war.
Sein ebenfalls 2010 erschienenes erstes Album, „Great Western Laymen“, wurde noch von Dubsteprhythmen beherrscht, in welche der Gesang dann mit allerlei Filtern verzwirbelt wurde; nicht unähnlich der ästhetischen Technik des etwa zeitgleich debütierenden James Blake. Auf „Tragicomedies“ ist der Dubstep nur noch ein Element unter vielen in einem Stil- und Beat-Eklektizismus, der ebenso Akkordeonsoli über wobbelnden Bässen enthält oder Mad-Scientist-Orgel-Einlagen. Auch wer, sagen wir einmal, „Jazz From Hell“ von Frank Zappa für eine interessante Platte hält, kommt hier auf seine Kosten. So wie es How To Dress Well mit dem R’n’B der 90er-Jahre gelungen ist, so hat Rudi Zygadlo in seiner Musik das Erbe von Prog-Rock und Dubstep aufgehoben, im dreifachen Wortsinn des Hegel’schen Aufhebungsbegriffs: negare, conservare und elevare – überwinden, bewahren und zu einer höheren Wahrheit emporheben.