Jessie Mae Hemphill – She-Wolf

Der letzte bescheidene Boom hat dem Blues nicht besonders gutgetan. Okay, er ist zu etwas Geld gekommen, doch was tut er damit? Kauft sich Equipment und mietet sich in teuren Studios ein, will es seinem arroganten Onkel Jazz gleichtun und seinem verwöhnten Enkel Rock gefallen. Und merkt nicht, daß er damit seine ganz spezielle Magie aufs Spiel setzt, die doch darin besteht, das Vertraute unverbraucht und vital klingen zu lassen, und universellen Gefühlen eine so persönliche Note zu geben, daß Menschen davon berührt werden, tausende Meilen entfernt. Jahrzehnte danach.

Es scheint, als habe der Blues diese Fähigkeit verlernt Die jungen Spunde sind mehr an Sound und Virtuosität interessiert Und entsprechend tönen sie denn auch: hohl. Dann gibt’s noch ein paar launische Honoratioren wie B. B. King, wohlmeinende Kuratoren wie die Antone’s-Crew und jede Menge fingerfertige Dudler wie Gary Moore. So nimmt es dann auch nicht wunder, daß die brillanteste Blues-Scheibe seit Jahr und Tag so neuzeitlich gar nicht ist Tatsächlich entstanden die Aufnahmen on“She-Hbtf bereits vor knapp 20 Jahren in unterschiedlichsten Lokationen in der Nähe von Jessie Mae Hemphills Heimatort Como, Mississippi. LoFi-Studios, Jukejoints. V&fohnzimmer. Primitiv? Y)u bet.

Aber so voller Leben. Hemphill ist eine auratische Persönlichkeit, ihr Gesang passioniert, ihre Rhythmusvorgaben seltsam gemustert, ihr Fuß-Tambourine (!) wunderbar schleppend. Daraus resultiert ein rustikaler Swing, der Hemphills groben Gitarren-Riffs die Show stiehlt und die Mitmusiker weitgehend zu Statisten degradiert. Die musikalischen Bezugspunkte für Jessie Maes zeitgenössischen Country Blues liegen offen zutage, von Memphis Minnie bis Howlin‘ Wblf, doch die Songs gehören ihr, und die darin aufgehenden Gefühle sind ihre ureigenen. Die klagende, anklagende Traurigkeit von „Standing In The Doorway Crying“ etwa, die pistolenschwingende Aggression von „Married Man Blues“, die sozialpessimistische Lakonie von „Hard Times“, die unverhohlene Lüsternheit von „Take Me Home With bu, Baby“: „I want you to rock me, baby, till I’ve gone cherry red.“

Im Hintergrund hört man schon mal ein Kind weinen, einen Hahn krähen, ein Radio oder Fernseher plärren, eine Tür ins Schloß fallen. Nur einmal mußte Produzent (oder besser: Fieldrecorder) David Evans abbrechen, ab ein Hund ins Zimmer stromerte und sich heulend der Session anschloß. Hätte es sich um den Titelsong gehandelt, wäre die Töle vermutlich verewigt worden, obwohl „She-Wolf nicht naturalistisch gemeint ist, sondern Hemphills großem Vorbild gilt „I liked Howlin‘ Wslfso much“, schreibt sie in den Linernotes, daß sie sich vornahm, „to make something similar to his and be die she-wolf, the bad, bad wolf“.

Doch stand Chester Arthur Burnett nicht nur Pate für den Title-Track

und Hemphills verführerische, untersdnvellig bedrohliche Vibrationen, sondern zu einem Gutteil für ihre Musik, diesen percussiven, hypnotischen Minimalismus. Manchmal ist da nur ein Ton, der schnarrt, ein Groove, der pulsiert. Aber was für eine Wirkung! „Wer den Blues nicht liebt“, wußte schon das follweib Big Mama Thornton, „hat nicht gelebt“. Wie recht sie damit hatte, beweist diese Platte. Start liring, büby. 4,0

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