JIM DICKINSON WITH CHUCK PROPHET – A THOUSAND FOOTPRINTS IN THE SAND; GREEN ON RED – WHAT WERE WE THINKING? :: Corduroy/TIS; Corduroy/Normal

Mavericks nennt man Leute wie Jim Dickinson, ersatzweise utisung heroes oder auch: Fußnoten der Rock-Historie. Alles richtig. Sein Piano ziert „Wild Horses“ von den Stones, er schrieb „Across The Borderline“ mit Ry Cooder und John Hiatt, produzierte Albert King und Alex Chilton, die Texas Tornados und Toots von den Maytals. Sein größtes achievement freilich ist das Album „Dixie Fried“ von 1972, ein Werk von wahrhaft wahnhaften Inspirationen. Selten erlebte man Soul so manisch und Blues so rumorend. Als James Luther Dickinson hat er in wehmutsvoller Südstaaten-Herrlichkeit diese LP lanciert und dazu passend auf dem Cover als sein eigenes Denkmal posiert. James Carr ist ein ungleich besserer Sänger, Dan Penn der ungleich bessere Songwritet; doch Jim Dickinson ist die seltsamste Inkarnation des Southern Soul, die Seele von Memphis, Tennessee.

Nur selten tritt Dickinson außerhalb seiner Enklave auf, und so ist „A Thousand Footprints In The Sand“ ein rares Live-Dokument des verkannten Veteranen. Chuck Prophet, Fan und Freund, seit Dickinson seinerzeit Green On Red produziert hatte (und nicht irgendeine, sondern ihre verdammt beste LP: „Here Come The Snakes“), Chuck Prophet also zog die Fäden, organisierte zwei Westcoast-Gigs in Santa Monica und San Francisco, und diese liegen nun auszugsweise ab Album vor.

Dickinsons Stimme ist ein machtvolles Instrument, wenn er sich ins Zeug legt, den Tön trifft. Wenn nicht, ist sie erratisches Granteln. Beide Seiten, die stabile und die unstete, kommen auf „Footprints“ zum Tragen, und der flüchtige Hörer würde nicht zögern, sein Urteil zu fallen: unfertig oder doch zumindest under-rehearsed.

Doch ist das nur die halbe Wahrheit, weil es letztlich gerade die taumelnden, unsicheren und suchenden Tracks sind, die sich am tiefsten und hartnäckigsten verhaken. Etwa das obskure Dan-Penn-Stück „Pain And Strain“, Eddy Bonds „Rockin‘ Daddy“ oder Bob Franks „Wild Bill Jones“. Letzteres fand sich bereits auf „Dixie Fried“, ebenso wie „Casey Jones“ von der Memphis-Blues-Legende Furry Lewis, hier allerdings als „K.C. Jones“. Prophets Gitarre paßt sich dem Gesang an, ist bald flüssig, bald eher fragmentarisch. Das ganze Set atmet die Freiheit einer Jam-Session (im positiven Sinne), woran auch die robusten Akkordeon-Akte von Stephanie Finch nichts ändern. Die Liner Notes stammen übrigens vom Dickinson-Intimus Stanley Booth, der als Chronist der allzeit gärenden Memphis-Szene einige großartige Schriften publiziert hat, darunter das über die Maßen faszinierende „Rhythm Oil“, mit Essays und Erzählungen über zentrale Figuren in Booths Bio, von besagtem Furry Lewis über Elvis und Keef bis zu Gram Parsons und AI Green. Essential reading.

Zu den großen Ungerechtigkeiten der Musikgeschichte gehört der unerklärliche Umstand, daß die beste amerikanische Band der 80er Jahre auf ihrem Heimat-Kontinent nie so recht reüssierte. In Europa waren Green On Red indes Kult, und so wird „What Were We Thinking?“ vor allem diesseits des Atlantik Käufer finden. Als CD von Normal, als Vinyl-Doppel-LP mit vier zusätzlichen Tracks vom australischen Label Corduroy veröffentlicht, bietet das Album vor allem bisher unveröffentlichte Demo-Aufnahmen der Jahre 1982 bis 1987, dazu Live Cuts und Radio-Mitschnitte, durchweg von bestechender Qualität Für Fans ohnehin unverzichtbar, fuhren die hier versammelten Stücke auch dem Laien eine dynamische musikalische Entwicklung vor, vom, ähem, New Wave über die verschiedenen Stationen des Paisley Underground bis zur eigentlichen Bestimmung von Green On Red, die mal einer so beschrieben hat: Es klingt, als singe Mick Jagger zu einem Backing aus The Band und Crazy Horse. Diese letzte, höchste Stufe der Metamorphose von Green On Red läßt sich auf „Thinking“ nur erahnen und wird erst in einer Fortsetzung der Archiv-Serie zum Zuge kommen, doch herrscht beileibe kein Mangel an genuinen Höhepunkten, vom pumpenden Akustik-Take von „Paint Your Wagon“ bis zum Drums-dramatischen „Oh Carolyn“. Interessant auch die früheste Aufnahme von 1980, als Dan Stuarts Combo in Tucson, Arizona, noch The Serfers hieß und einen Song zum besten gab, der „Green On Red“ heißt und noch arg unter dem Eindruck der Talking Heads steht. Funny. Aber irgendwo muß man ja wohl immer anfangen.

Abonniere unseren Newsletter
Verpasse keine Updates