Jochen Distelmeyer

Heavy

Vielleicht gehen Jochen und Bernd ja nach dieser Platte doch mal wieder zusammen ins Kino. Bernd Begemann hatte 1993 zur Drum-Maschine in „Rambo III mit Jochen Distelmeyer im Autokino“ einen Streit nachgespielt, in dem ihm Distelmeyer vorwirft, nicht radikal genug zu sein. „Du bist Godard, und ich bin Truffaut“, trotzte Begemann damals und stellte fest: „So sehr wir uns anstrengen, können wir uns doch nicht verstehen/ Und es ist wohl kein Zufall, dass wir nicht mehr zusammen ins Kino gehen.“

Nach „Heavy“ scheint nichts Ideologisches mehr zwischen den beiden zu stehen. Vorbei ist die Zeit der poetischen und musikalischen Radikalität, die das Blumfeld-Debüt „Ich-Maschine“ (1992) zu einer der wichtigsten deutschsprachigen Platten überhaupt gemacht hatte – auch weil sie zwischen dem Politischen und dem Privaten nicht unterscheiden mochte. Nun kommt Distelmeyer seinem ehemaligen Bad-Salzuflen-Idol Begemann näher denn je, wenn er zu den sanften Harmonien von „Jenfeld Mädchen“, dem schönsten Lovesong auf dieser Platte, gegen das Liebesdilemma ansingt: „Mir ist egal, was die anderen sagen/ Denn ich hab gelernt: Wenn es drauf ankommt, sind sie still.“

Radikal ist an „Heavy“ nur, dass sich die Platte am liebsten dem Diskursiven verweigern möchte, das vor allem das frühe Blumfeld-Oeuvre – und damit all das, was die so genannte Hamburger Schule ausmachte – prägte. Es geht nicht mehr um den Verweischarakter der Musik, die Songs sind reiner Pop. Hier ist nichts uneigentlich, es geht nur um schöne Musik, um feine Melodien, um sanft-poetische Songentwürfe, denen alles Ironische fremd ist.

Man darf sich nicht davon täuschen lassen, dass Distelmeyer in „Hinter der Musik“ noch einmal die verzerrte Postpunkgitarre hervorkramt, um vom „Leben in Zitat“ und über die „zerdachte Welt“ zu klagen. Darf sich nicht von den griesgrämigen Riffmonstern „Wohin mit dem Hass?“ und „Er“ einschüchtern lassen, die sich einem nach dem A-cappella-Präludium „Regen“ zunächst in den Weg stellen. Auch später, beim Glamrock-Shuffle von „Hiob“, ist das Ungestüme nur Echo eines Zorns von früher.

Stattdessen prägt der Wille zum Popsong und zu dessen klassischen Topoi dieses Album. Distelmeyer singt in einem an Aztec Camera geschulten Liedrepertoire von Liebe und Einsamkeit, Sehnsucht und Trennung. Im zarten „Lass uns Liebe sein“ verwünscht er zu filigran verwobenen Gitarren- und Klavierharmonien den Irrsinn zwischen Lust und Leid. Auch das wehmütige „Bleiben oder Gehen“ und das sehnsüchtige „Nur mit dir“ künden vom radikalen Rückzug ins Persönliche: „Ich stecke fest, ich häng im Aus/ Ich komm nicht alleine raus/ Ich hab’s versucht, aber ohne dich ist alles nichts.“ Und in „Murmel“ macht es sich Distelmeyer schließlich im Biedermeier-Idyll gemütlich: „Und ich, ich bin am Ziel/ Weiß, was ich will, und brauch nicht viel/ Ich seh‘ zu, wie die Kinder spielen/ Und über uns den Zeppelin/ Ein Elefant als Luftballon/ Ich leb dafür und leb davon/ Am Ende ist es nur ein Song/ Und ich flieg‘ davon – zu dir.“

Jochen und Bernd sollten dringend mal wieder ins Kino gehen. Es muss ja nicht gleich „Rambo“ sein.

Gunther Reinhardt