Joe Henry – Blood From Stars
Kennen Sie den auch? Diesen Typen, den keiner kennt? Der einfach die Piratenflagge hisst und da plötzlich in fremden Zungen aus einem selbst spricht? „Somebody used my mouth and laughed out loud“, und – ja, wirklich – unerhörte Dinge flüstert er. Um dann – in aller Konsequenz – natürlich auch noch das Herz zu kapern und daraus einfach einen silbernen Löffel für die Lüge des Tages zu machen.
„The Man I Keep Hid“ – eine freundlich-verspieltere und zugleich unheimlichere Variation von Nick Lowes „The Beast In Me“ – ist die perfekte Eröffnung für das elfte Album des Joseph Lee Henry. Denn offenbart sich nicht gerade in diesem schönen Versteckspiel um Identität(en) der Kern eines Mannes, den wir immer noch kaum kennen, obschon er in der letzten Dekade auch noch zu einem der Top-Produzenten fürs gehobene Fach von Solomon Burke bis Allen Toussaint aufgestiegen ist? Ein Mann für Bekenntnisse, für die auserzählte Pointen- oder Moralgeschichte war Henry noch nie, selbst in den frühen Neunzigern nicht, als er an der Seite der Jayhawks (denen er die hinreißenden Linernotes für „Hollywood Town Hall“ schrieb) noch als Roots-Americana-Hoffnung lanciert wurde.
Auf „Blood From Stars“ fußen seine impressionistischen Charakterwürfe und Szenarien nun mehr denn je im Blues, als harmonische Basis, zuweilen auch formale Orientierung. Doch lösen Henry und seine vertrauten Stammmusiker Jay Bellerose (Schlagwerk), David Piltch (Bass) und Patrick Warren (Keyboards) jedweden Katechismus sogleich wieder auf, spielen dezent mit Torch-Song-Mustern („This Is My Favourite Cage“) oder treiben die Musik immer wieder an eruptive Grenzen. Neuzugang Keefus Ciancia zieht derweil mit seinen Samples eine zweite Sound-Ebene, einen doppelten Boden in Stücke wie „Bellwether“ und „Suit On A Frame“.
Dazu noch die Gäste: Marc Anthony Thompson (Chocolate Genius) als Soul-Messias im apokalyptisch behauchten Wogen und Brausen von „Death To The Storm“. Sohn Levon Henry – gerade 17, doch schon Montreux-dekoriert mit zwei „Next Generation“-Awards – als großes Sax-Talent mit verblüffend cooler Phrasierung in „Truce“. Und Marc Ribot als Marc Ribot, mit seiner Trademark-Gitarre (und sogar mal Flamenco-Licks in „This Is My Favourite Cage“), aber für „The Man I Keep Hid“ und „Bellwether“ auch ins Kornett blasend. Das schafft bestimmt nur dieser Typ, den keiner kennt.