John Cale – Walking On Locusts :: Ryko / RTD

Darf John Cale das? Der klassische Musiker, Avantgardist, Komponist, der Dämonenbeschwörer, Selbstzerstörer und Extremmensch, darf er eine gefällige Pop-Platte machen? Überflüssig, die Alben der letzten Jahrzehnte als Vergleich heranzuziehen. Cale hat in sämtliche Richtungen experimentiert, Harmonien gesucht, gefunden und zerstört. Egal, ob ab Rockmusiker oder in der Klassik. Sein Schaffensdrang scheint sich mit dem Alterwerden zu erhöhen und im Gegensatz zu manchen Mitstreitern des gleichen Jahrgangs hat er sich niemals mit nur einer Haltung zufrieden gegeben.

Jetzt, auf seinem erneuten Gang zum Pop, wandert er über Heuschrecken. Wohltemperiert eröffnet „Walking On Locusts“ mit westerngetönten Akustikgitarren, Geigentänzen und einem lockeren Rhythmus den Weg. Doch schon hier zeigt sich der perfide Umgang im Detail, der im Lauf der Songs immer deutlicher wird. „Free again… and again“ singt Cale, üppige Slide-Gitarren-Melodik und forttragende Streichersätze verfangen sich im schwermütigen Übergang zu kammermusikalischer Stärke. Nur unterschwellig kommt die Bedrohung in dunklem Getrommel und nervösem Gitarrengehüpfe – wie bei „Crazy Egypt“ – zum Vorschein.

Mit Hilfe von Musikern wie dem Extrem-Gitarristen David Tronzo, David Byrne oder dem Soldier String Quartet, allesamt bekannt für ihre grenzgängerische Arbeitsweise, gliedert er seine Musik zu epischen Ausflügen. Cales markante, kehlkopfstrapazierende Stimme wird auch von den kräftigen Background-Chorälen kaum entschärft. Dennoch überläßt er das Schreien den anderen, versteckt die Intensität in stille Winkel, in die gelegentlichen Aufsprünge, in die großartigen Arrangements. „When the daylight comes, when the streets turn empty, and the moon smiles down…“, ein perkussiv schwebender Zustand zerbröckelt in vereinsamten Trompeten- und jaulenden Gitarrenklängen.

Den süßlichen Melodien stehen bittere Züge ins Gesicht geschrieben. Dann erkennt man auch das Piano wieder, noch immer mit der Faust gespielt, finden Gefühle von Verlust und Schmerz akute Umsetzung in entzerrten Klängen. Darin liegt die Stärke dieses Albums, aber auch die Gefahr des überzeichneten Wohlklangs. Aber John Cale darf das.

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