John Martyn – Grace And Danger

Für den Titelsong fiel John Martyn eine jener typischen Lügen ein, wie man sie in Variationen aller Art auch in Standards der amerikanischen Populärmusik findet. Ja, er wünsche ihr alles, was sie sich selber nun wünsche, und nein: „It makes me feel so good to know you found somebody eise.“ Und trotzdem bedeute sie immer noch die ganze Welt für ihn. Wie einige der allerbesten Platten überhaupt von Bob Dylan, Richard Thompson und ein paar anderen talentierten Songschreibern war „Grace & Danger“ die Chronik einer in die Brüche gegangenen Liebe und Ehe. Martyn machte aus seiner Seele wahrlich keine Mördergrube. Für diese Songs galt: form follows feeling, und diesen Gefühlen gab er sehr eindrucksvoll und nachvollziehbar.

Martyn und seine drei Begleiter hatten in einem neuen Aufnahmeraum der DJM Studios eine fabelhafte Akustik vorgefunden, die diesen Folk/Soul/Funk/Jazz-Mix auch sofort ganz toll klingen ließ. Da war gar kein kalkuliert aufgepfropftes Sound-Design nötig. Der Tonmeister wurde zwar im Kleingedruckten umgehend auch als Produzent genannt. Aber zu den vielen Qualitäten dieser Platte gehört, dass sie so gar nicht nach den Vorstellungen von einer außenstehenden Kontrollinstanz produziert klingt.

Das war vielmehr so weit – mit Einschränkungen sogar die Cover-Version des Slickers-Klassikers „Johnny Too Bad“ – spontan improvisiert, dass Island-Boss Chris Blackwell auf Grund dieses Albums allen Ernstes zu der Auffassung kam, John Martyn sollte sich künftig konsequent eine Nische als Jazz-Interpret suchen. Seit den späten 60er Jahren waren alle Versuche, ihn einem breiteren Publikum genehmer zu machen, kläglich gescheitert. Blackwell war mit Martyn und seiner Ehefrau durchaus sehr freundschaftlich verbunden. Aber deswegen hob seine Karriere kommerziell so wenig ab wie die des Kollegen Richard Thompson.

Gut sechs Jahre vorher entstanden, hätte schon „Solid Air“ eigentlich die LP sein müssen, die ihm den Durchbruch brachte. Trotz der berauschenden Konzerte, die er danach gab, konnte er so wenig eine größere Fan-Gemeinde erschließen wie Nick Drake. Erst „One World“ sollte es 1978 mühsam auf Platz 54 der LP-Hitparade schaffen. Wie man so – all die Jahre auch noch reichlich Alkohol konsumierend und immer launischer werdend – eine Familie mit vier Kindern ernähren will, war der Ehefrau zunehmend weniger klar.

Als Blackwell dann das Ergebnis der „Grace & Danger“‚ Sessions hörte, ließ er die Bänder umgehend für ein Jahr ins Archiv verbannen. Bei dieser Deluxe-Edition wird auch sofort wieder klar, warum. Denn das war einer dieser raren Fälle von einem Songzyklus wie einer OP am offenen Herzen. Weit und breit keiner dieser Abstecher in High-Tech-Soul-Gelände, mit denen Steve Winwood gleichzeitig zunehmend so erfolgreich war. Gleichwohl Soul, aber von subtilerem und ausgesprochen introvertiertem Ausdrucksvermögen. Teils sogar wie „Baby Please Come Home“ – genau so hart an Sentimentalität vorbeischrammend wie große Country-Heuler. Nur halt anders. Wenn Fans von Scott Walker und „Climate Of Hunter“ das, nachträglich entdeckt, heute für Easy Listening halten mögen: geschenkt.

Blackwell mag darauf spekuliert haben, dass die schiere Präsenz von Phil Collins mehr Aufmerksamkeit garantieren würde. Aber auch ein Soul-Ohrwurm von Marvin-Gaye-Klasse wie „Our Love“ fand keine größere Resonanz. Im Übrigen erinnern auch dieselben Songs als BBC-Mitschnitte in den Zugaben auf der ersten CD nicht von ungefähr an die mit Jaco Pastorius gemachten Joni-Mitchell-Platten Mitte der 70er Jahre. Die Demos und Proben-Mitschnitte vom Frühjahr/Frühsommer 1979 in einem anderen Studio kommen nicht in derselben Klangqualität.

Was hier allerdings fasziniert, sind Outtakes wie „Running Up The Harbour“, „Dead On Arrival“ und „After Tomorrow Night“, die es als Songs – vielleicht auch, weil sie thematisch nicht ganz zu den übrigen Songs des Albums passen – nicht auf die LP schafften. Letzteres war zudem ein so zeppelinesques Stück, wie das kaum jemand von John Martyn erwartet hätte.

Mehr als nur eine ferne Ahnung von richtigem Erfolg spürte John Martyn übrigens erstmals und letztmals in den beiden Jahren danach: Der Freund Phil Collins hatte ihn beim Warner-Konzern untergebracht.

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