John Prine :: The Singing Mailman Delivers

Vorzügliche Live-Aufnahmen des jungen Songschreibers von 1970

Was Kris Kristofferson recht war, sollte dem von ihm protegierten Kollegen John Prine nur billig sein. Letzterer hatte sich nach seinem Abschied von der Armee vorgenommen, nebenberuflich in den Folk-Clubs von Chicago und näherer Umgebung eine zweite – vielleicht ja richtige – Karriere zu beginnen. Dort entdeckte ihn derselbe Kris Kristofferson, dem zuvor wiederum Johnny Cash zu einem Plattenvertrag verholfen hatte.

Dass der ihm dann ausgerechnet Atlantic als das für seine Art von Songs passende Label empfahl, darf man durchaus als etwas bizarr betrachten. Wieso ausgerechnet Ahmet Ertegun neuerdings ein Faible für Singer/Songwriter entwickelt haben und in einem 24-jährigen Briefträger aus Chicago den passenden Kollegen auch für die gerade von ihm unter Vertrag genommenen Rolling Stones sehen sollte, war schon mehr als rätselhaft. Aber nachdem er mit Led Zeppelin und anderen Neuerwerbungen der letzten Zeit die Lizenz zum Gelddrucken hatte, konnte sich die Firma ein ehrgeiziges Talent wie Prine locker leisten.

Der hatte zu dem Zeitpunkt über das Schicksal von heroinabhängig gewordenen Vietnamveteranen, über die Freuden eines eher unordentlich ausschweifenden Lebens und das langsame Sterben älterer Herrschaften schon mal gründlicher nachgedacht und Erkenntnisse in brillante Songs gegossen. Für „Sam Stone“ waren ihm Verse eingefallen wie „There’s a hole in Daddy’s arm/ Where all the money goes/ Just Christ died for nothing I suppose“. So etwas wie sein Antwortsong auf Randy Newmans „Love Story“ war „Hello In There“ – weniger lakonisch, ungleich bitterer das trostlose Leben eines alten Ehepaares so drastisch verhandelt, dass Bette Midler das beim Atlantic-Debüt zu einer ihrer wunderbarsten Cover-Versionen machen sollte. Die Droge war bei „Illegal Smile“ eine andere, aber als hübsche Antwort auf Randy Newmans „Rolling“ kann man auch das sehen.

Was den Kollegen Kristofferson seinerzeit besonders beeindruckt haben dürfte, war der rebellische Geist in Songs wie „Spanish Pipedream“ (mit den schönen Versen „She was a level-headed dancer/ On the road to alcohol/ And I was just a soldier/On my way to Montreal“) und „Your Flag Decal Won’t Get You Into Heaven Anymore“, die in dieser Phase des immer nur noch wüster tobenden Vietnamkriegs den Protest absolut unmissverständlich artikulierten.

Bei einem Rundfunksender in Chicago im August 1970 und drei Monate später in einem Club mitgeschnitten, dokumentieren die zwei Dutzend Aufnahmen von „The Singing Mailman Delivers“ also keinen um Form, Ausdruck und individuelle Stimme ringenden Jungspund, sondern einen kompletten Singer/Songwriter. Als solcher musste Prine nicht um die Gunst des Publikums buhlen. Er gab eher den souverän mit den Zuhörern auch scherzenden Kumpel, der komödiantische Momente und bittere Botschaften seiner Lieder exakt auszubalancieren verstand. (Oh Boy) franz schöler

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