Julian Knoth
„Unsichtbares Meer“
Italic (VÖ: 23.5.)
Fabelhaftes Solodebüt des Bassisten von Die Nerven.

Man muss nicht wissen, dass Julian Knoth diese Stücke im ersten Corona-Jahr geschrieben hat, um zu begreifen, dass er sich zur Zeit ihrer Entstehung an einem Punkt tiefster Kontemplation befand. Das Solodebüt des Bassisten der Band Die Nerven bezieht seinen Reiz aus einer beklemmend-befreienden Dichotomie. So schmucklos die zur akustischen Gitarre vorgetragenen Stücke anmuten, so kunstvoll geraten die Streicherarrangements. Knoth nennt als Inspiration für diese von Depression und Orientierungslosigkeit, Konsumüberdruss und Einsamkeit kündenden Platte Johnny Cash, Cat Power und Adrianne Lenker. Aber es fallen einem noch so viele Namen ein: Syd Barrett, Violent Femmes, Red House Painters, Foyer des Arts … „Kein Lied“ klingt, als hätten Robert Kirby und John Cale eine Ballade von Dirk von Lowtzow eingerichtet. Das Titelstück könnte auch das Vorspiel zu einer Bach-Kantate sein. Post-Punk-Trübsal wird durch Klassik-Tupfer aufgehellt.
Die von Seb Urquell komponierten und von einem Trio namens Abstrich gespielten Streichersätze passen stets perfekt zur jeweiligen Stimmung. Weil Knoth einfach zu schlau ist, um sich als Hochkulturkenner aufzuplustern. Mit „Hinterhof der Welt“ wagt das Album einen kleinen Schlenker in Richtung Jazz, bevor „Nimmt die Blätter mit“ in eine dröhnende Vorhölle entführt. „Gestern hatte ich noch einen Traum“ ist eine melancholische Kakofonie, „Morgen fängt der Ernst des Lebens an“ eine Elegie des Scheiterns, harmonisch betörend, von so etwas wie Trost jedoch weit entfernt. „Endloser Ozean“ besticht als spacige Miniatur-Sinfonie mit Krautrock-Untertönen. Julian Knoth gestattet sich in diesen Antiballaden keine Sentimentalität, das macht seinen existenzialistischen Reigen so stark.
Diese Review erschien im Rolling Stone Magazin 6/25.