Lambchop – Aw Cmon/No You Cmon :: Von Lambchop bis Scott Walker: Alle wichtigen neuen und neu aufgelegten Alben

Was wir alle insgeheim gedacht haben nach der majestätischen Lautlosigkeit von“Is A Woman“: Nach so einem Album muss sich eine Band eigentlich auflösen. Ohne großes Brimborium, ganz leise. Und Jahre später sollte ein selbstbetiteltes Solowerk des Songschreibers Kurt Wagner erscheinen, auf dem man nur hört, wie jemand mit einer Sense Gras mäht, mit einem Reisigbesen den Hof fegt, der Wind durch die Bäume rauscht und einer durch die Seiten der Jean-Paul-Gesamtausgabe blättert. Wenn man sich anstrengte, hörte man im Hintergrund ganz leise „In A Silent Way“ von Miles Davis. Aber Lambchop sind ja nicht Talk Talk. Und so kam alles ganz anders.

Kurt Wagner schrieb im Auftrag des Film Festival San Francisco die Musik zu F.W. Murnaus „Sunrise“ und konnte sich danach nicht mehr bremsen. Jetzt erscheinen nicht nur die 15 Songs des Soundtracks, sondern insgesamt 24 neue Lambchop-Stücke. Verteilt auf zwei Alben mit Titeln, die nicht daraufschließen lassen, dass es dieses Mal weniger gemächlich zur Sache geht als beim letzten Werk: „Aw, Cmon.“ – „No, you c’mon!“

Tatsächlich muss man erst wieder auf Lambchop-Zeit umstellen, wenn man „Aw Cmon“ die ersten Male hört. Mach mal hin da! Kurt Wagner lässt sich nicht aus der Ruhe bringen, brummelt zu den wohligen Streichern von Lloyd Barry, die dem ganzen Album eine Spur Soul einhauchen, seine Schnurren voll wunderlicher Bilder, in denen unter anderem Steve McQueen und ein Bild Michael Jackson und Bubbles aus glücklichen Zeiten zu sehen sind. Ein Piano bringt ein bisschen Struktur in die leichte Opulenz. Ab und zu lockt einen ein beschwingtes Instrumentalstück aus dem Schaukelstuhl. Richtige Songs und Melodien erkennt man allerdings erst nach einiger Zeit. Lediglich das kuriose „Women Help To Create The Kind Of Men They Despise“ und der Schnecken-Soul „I Hate Candy“ bleiben sofort hängen „I hate candy and I like rain/ And I like substance to tickle my brain.“

Aber selbst wenn man wollte, könnte man nicht von Stücken lassen, die „Four Pounds In Two Days“, „Each Time I Bring It Up It Seems To Bring You Down“, „Timothy B. Schmidt“ oder „I Haven’t Heard A Word I’ve Said“ heißen. Außerdem ist – wie so oft bei dieser prächtigen Band – die musikalische Grundstimmung entscheidend. „Aw Cmon“, das sind die ersten Sonnenstrahlen nach einem sehr langen Winter irgendwo auf dem Land. Man meint zu hören, wie jemand mit einer Sense Gras mäht, mit einem Reisigbesen den Hof fegt, der Wind durch die Bäume rauscht. Und einer liest murmelnd aus dem „Schulmeisterlein Maria Wutz“. Im Hintergrund läuft Marvin Gayes „What’s Going On“.

Der letzte Song auf „Aw Cmon „, das beklemmende „Action Figure“, deutet bereits in die Richtung des zweiten Streichs: Das Idyll schlägt langsam um, eine beunruhigend im Hintergrund surrende Gitarre (die sich, wenn man genau hinhört, schon früher auf dem Album andeutet) erzeugt Anspannung. „Perhaps you’ll sing a different tune/ Perhaps we learn to tell the difference.“

Die Grundstimmung von „No You Cmon“ ist teilweise dunkler, das Album in sich nicht so geschlossen wie der zweieiige Zwilling. Die Konzentration liegt nicht auf einer spezifischen Klangfarbe, sondern auf der angemessenen Ausgestaltung der einzelnen Songs. Dann und wann heult hier die nervöse Gitarre auf, als hätten Lambchop ein Rockalbum machen wollen. Richtig krachig wird’s aber nur einmal: im Song mit dem Titel – ausgerechnet! – „Nothing Adventurous Please“. Daneben steht das Dave-Brubeck-Klavier im fabelhaften „Low Ambition“, der Bossa Nova „The Gusher“, die lässig countryeske Miniatur „About My Lighter“, der Klamauk „Shang A Dang Dang“, die Soulnummer „Under The Dream Of A Lie“, der Existenzialismus von „There Is Still Time“. Der beste Song dieses Liederbuches steht (fast) am Ende: „Listen“ – bedrückend und zugleich schön, Liebeslied und Trennungsschmerz.

Wenn Lambchop auf dem letzten Album (dem Titel nach) eine geheimnisvolle Frau waren, so sind sie jetzt Alvin Straight, der Protagonist aus David Lynchs „Straight Story“ – und wie bei Lynch gilt auch bei Lambchop: Hinter dem Idyll verbirgt sich meist ein Abgrund.

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