Little Annie & Baby Dee State Of Grace

Durch den Clip zu David Bowies neuestem Song „Where Are We Now?“ ist die popgeschichtliche Relevanz von Berlin-Schöneberg mal wieder an die Diskursoberfläche geblubbert. Es waren die Texte des Briten Christopher Isherwood, die ihn damals in die geteilte Stadt zogen. Der Autor beschrieb das Berlin der Cabarets und Schwulenbars, der Künstler und der Halbwelt. Schöneberg war damals der queere Gegenentwurf zum mondänen Paris. „State Of Grace“, das gemeinsame Album der New Yorker Künstlerin und Sängerin Annie Bandez alias Little Annie und der Transgender-Songwriterin Baby Dee, klingt wie eine Beschwörung dieser untergegangenen Welt. Da wird mit dem Klischee der gefallenen Diva gespielt, mit Melancholie und Melodrama, mit Weill und Hollaender – aber zugleich werden diese Stereotypen immer wieder durchbrochen. Mit Velvetunderground-Drones natürlich, aber auch mit Verkitschung durch Hollywood-Streicher, und der Titelsong baut sich mit Gastsänger Bonnie ‚Prince‚ Billy von einer klassischen Klavierballade zu einem düsteren Folkgetöse inklusive Kirchenorgel auf. Irgendwo zwischen Tom Waits und Current 93 einordnen, bitte. (Tin Angel /Indigo)

Das Berlin einer fernen Zeit beschwört auch der Poet, Historiker, Radical-Yewish-Song-Performer und Verfremdungsklezmervirtuose Daniel Kahn auf seinem neuen Album mit seinem internationalen Ensemble The Painted Bird. Er beginnt seinen polyglotten Reigen mit „A Meydl From Berlin“, einem jiddischen Folksong aus dem Warschau des 19. Jahrhunderts, spielt Franz Josef Degenhardt, Robert Schumann und Leonard Cohen und macht sich im gewitzten „Good Old Bad Old Days“ über das Geschäft mit der Ostalgie lustig: „I remember those nights down in old east Berlin/ With the microphones listening under the floor“. „Bad Old Songbook“ ist eine außerordentliche Sammlung böser, dunkler, wütender und trauriger Lieder. (Oriente/Fenn Music)

Bevor man mir hier Zentralismus und Berlin-Hype vorwirft, möchte ich noch darauf hinweisen, dass eines der tollsten deutschen Label in Dresden sitzt. Bei K+F Records sind herrliche Songwriter-/Folk-Platten von deutschen Künstlern wie Green Apple Sea, Garda und The Marble Man erschienen, und auch der Brite Thos Henley hat hier schon eine schöne Sammlung früher Aufnahmen veröffentlicht. Nun folgt mit „In Hearing Taste“ sein erstes Album. Den Titel hat er den Briefen des britischen Schriftstellers Patrick Leigh Fermor entlehnt, dessen Reisereportagen viele von Henleys Texten beeinflussten. Die hier zu hörenden 13 akustischen Impressionen hat er mit Streichertupfern, sachten Harmonien und kleinen subtilen Gimmicks versehen. Man könnte Kammerpop dazu sagen, wenn in seiner Chorknabenstimme nicht immer wieder subtil die Rastlosigkeit mitschwingen würde, die nach einem Ausbruch aus der stillen Stube in die große weite Welt kündet.

Ebenfalls auf K+F Records erschienen: „Bärenmann“, das zweite Album der Dresdner Band Bergen. Die acht Stücke lassen sich viel Zeit, um ihre ganze Pracht zu entfalten. Manchmal erreichen sie fast die Langsamkeit von Savoy Grand, und auch das perlende Klavier und die verhaltene Gitarre erinnern bisweilen an die Grandezza dieser Slowcore-Giganten; die Bläser geben dem Bergen-Sound allerdings eine etwas hellere Note. Und wenn die Band den Rhythmus mal ein bisschen beschleunigt und auf Song macht, statt auf Ambiente, klingt sie in „Wie ist das bei dir?“ und dem tollen „Schwierige Zeiten“ wie eine Emo-Version von Element Of Crime. Produziert hat übrigens der Erdmöbel-Zauberer Ekimas. Klingt gut! (K+F /Broken Silence)

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