Live In Europe 1969 :: Drei CDs und eine DVD mit Auftritten des berühmten Quintetts

Die Bedeutung von Miles Davis zu ermessen kommt in etwa der Anstrengung einer Mount-Everest-Besteigung gleich, mit dem einzigen Unterschied, dass man den höchsten Berg der Erde entweder bezwingt oder an ihm scheitert, während man mit Davis‘ Werk niemals fertig wird. Ausgrabungen wie „Live In Europe 1969 – The Bootleg Series Vol. 2“ tragen nicht zu mehr Übersichtlichkeit bei, sind jedoch für den Sammler unerlässlich. Drei CDs und eine DVD zeigen den Trompeter auf dem Gipfel seiner Kunst, zwischen den epochalen Alben „In A Silent Way“ und „Bitches Brew“, zwischen Abkehr vom Cool-Jazz und elektrifizierter Fusion-Phase.

Die vier Konzerte in Antibes, Stockholm und Berlin verdeutlichen auch, welche Dimensionen Davis‘ Schaffen damals schon erreicht hatte. So werden die teils halsbrecherischen Free-Jazz-Ausbrüche des ersten Antibes-Mitschnitts um ein paar frühere Stücke, unter anderem einen verswingten „Milestones“ und den Thelonious-Monk-Klassiker „‚Round Midnight“, ergänzt. Einzig die Aufnahmetechnik schien der Urgewalt des Quintetts um Saxofonist Wayne Shorter, Pianist Chick Corea, Bassist Dave Holland und Schlagzeuger Jack DeJohnette nicht recht gewachsen, weshalb die hoch emotionalen Improvisationen mitunter zu einem dumpfen Soundbrei verläppern. Da ist es geradezu ein Segen, dass die schweren Jazz-Rock-Akkorde von Gitarrist John McLaughlin fehlen, mit denen Davis seine Studioalben in dieser Periode vorzugsweise zudröhnte. Somit verdanken sich diese Aufnahmen dann doch mehr dem frei flottierenden Post-Bop-Ideal als dem funk-infizierten Psychedelic-Sumpf späterer Jahre.

Noch abstrakter geht es beim Auftritt in Stockholm zu. Melodische und rhythmische Strukturen werden weiter aufgeweicht. Vor allem Davis und Corea peitschen die rasanten Tempowechsel ein. Umso anmutiger ragt das elegische „Nefertiti“ heraus.

Den furiosen Abschluss bildet eine Fernsehaufzeichnung aus der Berliner Philharmonie, in dem besonders Shorter einige denkwürdige Solo-Parts beisteuert. Aus heutiger Sicht wunderbar anzuschauen, wie das in nobler Abendgarderobe gekleidete Publikum vornehm lauscht und eine Musik zu rezipieren versucht, die längst alle Konventionen überwunden hatte. (Sony Music) Max gösche

Dan Penn

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