Madness – The Lot :: Virgin

Der zeitgenössischen Jugend von Deutschland-sucht-einen-Superstar-Backpfeifen müssten diese alten Lieder gefallen, denn Madness sangen von Beutelhosen und Unfug auf dem Schul-Klo, von Mädchen und Sportskameradschaft, vom Saufen und Auf-die-Glocke-Hauen. Insofern waren sie universal. Die Songs über Herzattacken, trübe Tage, ungewollte Schwangerschaften und nächtliche Bootsfahrten nach Kairo waren dagegen schon eher britischer Exzentrik geschuldet.

Binnen weniger Platten wurde die Welt von Madness von einer Melancholie überschattet, die Mitte der 80er Jahre seltsam traurige Erinnerungen an die gerade überstandenen Adolezensz hervorbrachten: Mit Ende 20 klangen Madness wie Frührentner, der Wunder-Keyboarder Mike „Barzo“ Barson ging Tulpen züchten, und „Primrose Hill“, „Victoria Gardens“ und „Time For Tea“ waren die schönsten britischen Songs der Nostalgie seit „Waterloo Sunset“ und „Penny Lane“. Als es fast vorbei war, gelang den Männern mit „Yesterday’s Men“ und „Time“ die Inszenierung des eigenen Verschwindens. Aber nicht für immer!

„The Lot“ umfasst das Langspiel-Gesamtwerk der für ihre Singles zu Recht weltberühmten Band. Als da wären „One Step Beyond“(1979, 4,5) mit mehr Hits, als Wham! jemals hatten, dazu das irre Instrumental „Tarzan’s Nuts“, die Umdeutung von „Swan Lake“ zum Ska-Tanztee, Lee Thompsons Tröte und Mike Barsons Klavier. „Absolutely“ (1980, 4,0) mit überdrehtem altem Rock’n’Roll, viel Saxofon, dem wunderbaren „Embarrassment“, dem herzzerreißenden Instrumentalstück „Return Of The Los Palmas 7“. „Seven“ (1981, 3,5) mit „Cardiac Arrest“, „Shut Up“, „Grey Day“ und anderen Burlesken englischen Lebens. Dann das Hauptwerk „The Rise And Fall“ (1982, 5,0 ): Reflexionen übers Gestern und vergessene Momente, wie Graham „Suggs“ McPherson auch ganz richtig singt, ein Spaziergang durch Orte der Jugend.

„Keep Moving“ (1984, 4,0 ) war bereits ein Abgesang – es ging um nichts Bestimmtes und um Michael Caine, aber das war immerhin so grandioser Pop wie „Prospects“ und „Give Me A Reason“. Nach Barsons Abgang quälten sich die verbliebenen sechs Musiker im Spätherbst 1985 durch „Mad Not Mad“( 2,5 ) mit dem blöden Cover von „Sweetest Girl“ und dem albernen „Uncle Sam“, aber eben auch „Tll Compete“. Anstelle von Barzos Piano tönten Synthesizer und Sequencer, und die Truppe wirkte wie eingefroren. Man schloss mit „Coldest Day“.

Es gab seitdem „Madstock“ und 1999 die Platte „Wonderful“. Jetzt gibt es in London ein Madness-Musical. Und wieder schnorrt der „Bed And Breakfast Man“, grüßt „Benny Bullfrog“, bekommt „Mr. Speaker“ das Wort. Madness sind nach dem Tod von Ian Dury die letzte Music Hall des Landes.

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