Metallica – S&M

Damals, anno 1983, der Hard-Rock-Frühling. AC/DC, Saxon und Judas Priest markierten schon das Ende der Fahnenstange, und nur noch Motörhead wagten sich einen Schritt weiter hinaus, in die schiere Bodenlosigkeit, in den Schwermetall-Orkus – da geschah wirklich einmal Geschichtsmächtiges und -trächtiges. Motörhead ließen sich den Wind um die Nase wehen, berauschten sich an ihrer eigenen Fallgeschwindigkeit (Lemmy: „We are definitely the fastest!“), als plötzlich vier junge Menschen nachsprangen, leicht zu ihnen aufschlössen, ehrerbietig zum Gruße nickten – und dann nachgerade spielend an ihnen vorbei zogen.« Metallicas „Kill ‚Em All“, das war und ist ein Hörwerk sui generis, das war genrebildend, das war Speed Metal. Und vor allem war das eigentlich gar nicht möglich. Die Gitarrenbruderschaft Hetfield und Hammett hantierte mit schwerstem Gerät auf dem Riff-Sektor, ohne Frage, ließ dabei aber eine Verve, Agilität und spieltechnische Feinmotorik hören, die sich wahrlich hören lassen konnten, die man vorher schlicht noch nicht gehört hatte – und die uns, die wir jung waren und neugierig und hungrig, wie eine Marienerscheinung ankam. Und wer da zweifeln will, es wird sie immer geben, die ungläubigen Thomasse, der höre so kurz vorm Millennium noch einmal oder erstmals – solche zornigen Kondensstreifen-Rocker wie „Motorbreath“, „Whiplash“ und „Metal Militia“. Und sehet und staunet, all das war schon möglich im Hard-Rock-Frühling!

Dieser kleine historische Exkurs war nötig, um meine ganze tiefe Enttäutonträger

schung verständlich werden zu lassen. Nach den letzten beiden ebenso kopfhängerischen wie schmalbrüstigen Alben „Lood“ und Jte-Lood“, die in den einschlägigen Kreisen, ehrlich nüssbilligend, wenn auch vielleicht nicht ganz passend, als „Country“ geschmäht wurden, sind sie nun auch noch auf den letzten Hund gekommen: die Kooperation mit einem Symphonieorchester! Ach, du armes Amerika. Als ob es des anerkennenden Ritterschlags durch die E-Musik heutzutage noch bedürfte, wo doch gerade das Gegenteil der Fall ist und sich allerorten die Klassik dem Pop-Publikum anbiedert, um nicht so gänzlich marginalisiert zu werden.

Freilich, im Grunde passiert auch hier nichts anderes. Das San Francisco Symphony Orchestra, das ja schon mehrfach in populären Gefilden wilderte, ist nicht der große künstlerische Gegenspieler wie weiland bei Deep Purple, sondern bloß Wasserträger der KommerzialitäL Das kommt davon, wenn man einen Komponisten und Arrangeur bestallt, der hauptberuflich Soundtracks fiir schnöde Hollywood-Abgreifer wie etwa „Robin Hood“, „Lethal Weapon“ oder „Die Hard“ auswirft: Michael Kamen tut, was er tun muss, und schminkt den Rabauken-Rock mit billigem Italo-Western-Kitsch auf, um die Band so für eine noch breitere Masse goutierbar zu machen. Metallica goes Ennio Morricone.

Nun, natürlich ist es immer wieder schön, Songs wie „Master Of Puppets“, „Nothing Else Matters“ oder „For Whom The Bell Tolls“ zu hören; die sind einfach zu gut, als dass Kamen ihnen etwas anhaben könnte, die funktionieren selbst am flackernden Lagerfeuer auf der Konfirmanden-Freizeit, im Kanon gesunken. Aber diese Gitarren-Sisyphosse, die ihre monumentalen Riff-Felsen seit Jahr und Tag den Stahlberg hinan kugeln, haben einfach keine Hilfe nötig, schon gar nicht von verzärtelten Violinisten. Überdies präsentieren sich Metallica gerade in ihrer mittleren Werkphase (von „MasterOfPuppets“bsJÄetaüica a ) so orchestral und symphonisch, dass jede weitere Orchestralisierung nur als absurde Verdopplung erscheinen muss. Richtig ärgerlich wird es aber, wenn zum Beispiel bei der dramaturgisch eigentlich gut gebauten Elegie „One“ durch allzu aufgeregt schwadronierende Strings von Beginn an jegliche Melancholie im Wortsinn vergeigt wird und Hetfield, augenscheinlich irritiert, auch noch seine Intonation verhuscht, also weder beim Wehklagen noch beim wütenden Aufbegehren im Anschluss richtig bei der Sache ist. Und dieses hochfrequente Violinen-Ritsche-Ratsche geht einem gehörig an die Zähne. 2,0

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