Morrissey

Swords

Polydor (Universal)

Schon vor Monaten warnte Morrissey vor dem Erwerb der Sammlung „HMV/Parlophone Singles ’88-95“ (****), als handelte es sich um ein mit Schadstoffen im Übermaß belastetetes Produkt. Der einzige Schadstoff ist Vitriol, und das hatte der Künstler ja selbst beigemengt. EMI wagt nun eine Anthologie aller Songs, die in der angegebenen Zeit bei His Masters Voice/Parlophone erschienen waren – auf drei CDs, mit Abbildung der Platten-Cover. Indes hat Morrissey selbst 18 Stücke von Singles aus den letzten Jahren für andere Firmen zusammengestellt, die zur selben Zeit in den Handel gelangt sind.

Und was soll man sagen? Eine verblüffte Freude kann man empfinden beim Wiederhören der früheren, oft noch zarten, auch träumerisch gesungenen Songs: „Hairdresser On Fire“, „Oh Well, I’ll Never Learn“, „Piccadilly Palare“, „At Amber“, „Sister I’m A Poet“, „Everyday Is Like Sunday“ sowieso. Diese Lieder, oft in Zusammenarbeit mit Stephen Street entstanden, waren so gut, dass sie bereits zwei Jahre nach Beginn von Morrisseys Solo-Karriere schon eine Compilation rechtfertigten. Mit Streichern und Piano arrangiert, knüpften die Songs an das letzte Smiths-Album an, das Street ja produziert hatte.

Die kurze Phase mit dem Songschreiber Mark Nevin zeigt zwar die schönsten, größten Quiffs auf des Meisters Haupt, enttäuschten aber musikalisch. 1992 übernahm Alain Whyte die Leitung, was zu Glanzstücken wie „Certain People I Know“, „The More You Ignore Me, The Closer I Get“ und „Boxers“ führte. Und dann gab es eine Zäsur in Morrisseys Schaffen, auch insofern, als er Parlophone verließ und kurzfristig bei Mercury unterkam – das legendäre Debakel mit „Maladjusted“.

Im Jahr 2004 kam Morrissey zurück und setzte seine lange Tradition von Singles fort. Der Sammler kennt freilich auch die B-Seiten auf „Swords“, darunter so berühmte wie „Munich Air Disaster 1958“, das den Absturz eines Flugzeugs mit der Fußball-Mannschaft von Manchester United in Erinnerung ruft. Erstaunlich oft ist von Kindern die Rede in diesen späten Poemen, die allerdings häufig profaner formuliert sind als früher. Jedenfalls leidet Morrissey nicht unter Schreibblockaden: Die Apercus sprudeln fröhlich, wenn auch zuweilen auf einen Songtitel wie „Christian Dior“ oder „Sweetie-Pie“ reduziert.

Auf der zweiten CD hört man acht Stücke aus einem Konzert in Warschau, die vorwiegend von den letzten beiden Alben stammen. Die Litanei „Life Is A Pigsty“ währt beinahe neun Minuten, bevor „I’m Okay By Myself“ in einem typischen Morrisseyschen Widerspruch das Ende setzt. Einem Foto auf dem beigelegten Zettel entnehmen wir, dass Morrissey derzeit mutig die von Bruce Springsteen abgelegten Jeans und Holzfällerhemden aufträgt.