MUSIC MOVIES :: Woody Allen mag nicht der größte Klarinettist der Welt sein, vermutlich nicht mal der zweitgrößte, doch er hat trotzdem ebenso viel für den Jazz getan wie seine Idole. Er hat die Musik der Dixieland- und Swing-Ära in vielen seiner besten Filme eingesetzt und sie so am Leben gehalten. Seine Komödien haben den Witz und die Melancholie von Sidney Bechet, und er setzt die Pointen, wie nur ein Musiker es kann. „Sweet And Lowdown“ von 1997 ist Allens Hommage an den klassischen Jazz, den er so liebt, und an die Mythen, die die großen Musiker dieser Zeit umgeben.

Regisseur Woody Allen erfindet für seine Liebeserklärung an den Jazz, „Sweet And Lowdown“, den zweitgrößten Gitarristen der Welt

Wie schon in zwei Meisterwerken aus den Achtzigern, „Zelig“ (1983) und „Broadway Danny Rose“ (1984), entwirft Allen mit dem Gitarristen Emmet Ray eine Figur, von der man schwören könnte, dass es sie wirklich gegeben hat. Zur Beglaubigung kommen in diese Fake-Documentary Jazzexperten wie Nat Hentoff, Ben Duncan und der Regisseur selbst zu Wort, wenngleich sie sich – wie es bei Mythen und bei Experten nun mal immer ist – nie so ganz einig sind.

Emmet Ray (Sean Penn) ist während der Depressionszeit der zweitgrößte Gitarrist der Welt. Der größte ist natürlich Django Reinhardt, den Emmet nur ein einziges Mal selbst spielen hörte, was zur sofortigen Ohnmacht führte. Denn Emmet Ray kann niemandem zuhören, außer sich selbst. Deshalb ist die etwas einfältige stumme Wäscherin Hattie (Samantha Morton) auch seine ideale Partnerin. Ihr kann der große Schwadroneur ohne Widerworte von seiner musikalischen Größe erzählen und dabei sogar noch seinen neben der Musik liebsten Hobbys nachgehen: Ratten auf Müllhalden erschießen und Güterzügen nachschauen. Emmet und Hattie sind ein ideales ungleiches Paar, das nicht nur entfernt an den grobschlächtigen Schausteller Zampano und die naive Gelsomina aus Frederico Fellinis Klassiker „La Strada“ erinnert. Und so kann „Sweet And Lowdown“ natürlich nicht gut ausgehen. Emmet heiratet eine andere – die Möchtegernschriftstellerin und Society Lady Blanche (Uma Thurman).

Eine erste Idee zu „Sweet And Lowdown“ hatte Allen bereits 1969 nach dem Erfolg seiner zweiten Regiearbeit „Take The Money And Run“. Damals schrieb er ein Drehbuch über einen Jazzmusiker aus den 30er-Jahren mit dem Titel „The Jazz Baby“, das dann allerdings von seiner Filmgesellschaft United Artists, die von dem aufstrebenden Comedian eine klamaukige Komödie erwartet hatte, abgelehnt wurde. Damals plante Allen noch, die Rolle des Jazzers selbst zu übernehmen, knapp 30 Jahre später gewann er Sean Penn, der Ray mit viel Witz und Wärme verkörpert. Er hatte niemals zuvor Gitarre gespielt, beherrschte das Instrument aber nach ein bisschen Übung so perfekt, dass die Kamera seine Hände synchron zum Playback filmen konnte.

Die große Entdeckung des Films ist die junge Samantha Morton, die – obwohl sie als Hattie den ganzen Film über kein Wort sagt – für ihre erste große Rolle eine Oscar-Nominierung bekam. Allen gab ihr vor Drehbeginn die Anweisung, sich bei ihrem Spiel an seinem alten Helden Harpo Marx zu orientieren. Die damals 19-jährige Morton hatte allerdings noch nie von den Marx Brothers gehört – und auch Woody Allen war der Britin bis dahin unbekannt. Dabei ist dieser musikalischste unter den Filmregisseuren doch eine mindestens ebenso legendäre, von Mythen umrankte Gestalt wie sein Emmet Ray.

No. 15

„Sweet And Lowdown“

Die „ROLLING STONE Music Movies Collection“ wird mit zwölf weiteren Filmen fortgesetzt. In Kooperation mit Arthaus folgen Werke von Francis Ford Coppola, Woody Allen und Wim Wenders, wunderbare Dokumentationen und einige Annäherungen an die bizarren Aspekte des Rock’n’Roll. Die Filme sind im Handel sowohl einzeln als auch gesammelt in einer Editions-Box erhältlich, natürlich wieder mit Liner Notes der Redaktion und im Digipack. Für die Leser des ROLLING STONE bieten wir die Direktbestellmöglichkeit der Gesamtedition. Abonnenten können die Box zum Vorzugspreis von nur 99 E erwerben, der Leser zahlt 105 E inklusive Versand.

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13 The Doors – When You’re Strange

14 Buena Vista Social Club

15 Sweet And Lowdown

16 Get Back – Paul McCartney

17 It Might Get Loud

18 Studio 54

19 Joe Strummer – The Future Is Unwritten

20 The Cotton Club

21 Lightning In A Bottle

22 Full Metal Village

23 Detroit Rock City

24 Festival Express

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