MUSIK ZUM SEHEN
Madness Take It Or Leave It ****
Auf dem Höhepunkt der Madnessmania von 1981 war dieser überschwängliche Film ein Misserfolg. Der Stiff-Label-Eigner John Robinson wollte die Anfänge der Nutty Boys in Camden Town dokumentieren, investierte 400.000 Pfund und engagierte die besten Darsteller, die er finden konnte: Madness. Die Musiker taten so, als wären sie fünf Jahre jünger. „Take It Or Leave It“ ist eine gloriose Verbindung aus Cinema verité, „A Hard Day’s Night“ und „Spinal Tap“ und erzählt in improvisierten Szenen von billigem Bier, Fish &Chips, Klamauk in der U-Bahn, Klau im Plattenladen, Proben im Keller, Gegurke in alten Lieferwagen, ersten Konzerten in Pubs. Man sollte wissen, wer Bedders, Suggs, Chas Smash und Chrissie-Boy sind; immerhin gibt es englische Untertitel. Dazu spielen „Night Boat To Cairo“,“Day On The Town“,“The Prince„,“Madness“, „One Step Beyond …“. Und London sieht aus, als wäre der Krieg eben zu Ende gegangen. (Salvo)
ARNE WILLANDER
Musikladen Vol. 2 ***
Zwischen 1972 und 1984 war der „Musikladen“ ein grotesker Aufgalopp von Freaks und Bizarrerien wie Tight Fit, Clout, Girlie, Haysi Fantayzee, Kursaal Flyers, Ritchie Family, Sylvie Vartan, Trans-X, Dead End Kids, Medicine Head, Charlene Tilton und Kevin Keegan, Schmerzlosen wie Suzi Quatro, T. Rex, Herman Brood, Roger Daltrey, Leo Sayer, The Sweet, Dave Edmunds, Del Shannon und Nick Lowe und Show-Zombies wie Roger Whittaker, Saragossa Band, Al Bano & Romina Power, Dschinghis Khan und Rondo Veneziano. Als wäre dieses Potpourri nicht irrwitzig genug, verirrten sich Mitte der 70er-Jahre die reformierten Walker Brothers nach Bremen, um ihre Edelschnulzen zum Playback aufzuführen: Zu sehen, wie Scott und John goldlockig ,,No Regrets“ mimen und ihre Gitarren festhalten, ist ein perverser Grusel. Fast alle Songs erfüllen den Tatbestand der Körperverletzung; Insterburg & Co. ist ein Special gewidmet. Drei DVDs. (Sony) ARNE WILLANDER
LCD Soundsystem Shut Up And Play The Hits **1/2
Den Gedanken, überholt zu werden, gab es bei James Murphy alias LCD Soundsystem schon länger: „Losing My Edge“ war schließlich sein erster Hit. Vielleicht war es ihm deswegen auch wichtig, auf der Höhe seines Erfolgs auszusteigen. Aber was macht ein 40-jähriger Rockstar am Morgen nach seiner letzten Show vor 20.000 Fans? Mit seinem Mops Gassi gehen, sich rasieren und noch einmal seine Band treffen, bevor alle die Stadt verlassen. Genau aus solchen Szenen und Mitschnitten des letzten Konzerts im New Yorker Madison Square Garden besteht diese Abschieds-Doku. Der Person James Murphy kommt man dabei ein beträchtliches Stück näher, auch wenn die privatesten Szenen offensichtlich gestellt sind. (Kein Kamerateam kann sich so leise in ein Schlafzimmer schleichen, dass sie Nahaufnahmen beim Aufwachen machen könnten.) Eine Antwort auf die Frage, warum Murphy eigentlich aufgehört hat, liefert der Film allerdings nicht. (Good Movies/Indigo) JAN VOLLMER
Peter Gabriel Live In Athens 1987 ****
Als Peter Gabriel 1987 in Athen auftrat, lud er Youssou N’Dour und Le Super Etoile De Dakar ein, ihn zu begleiten. Die Weltmusik beschränkte sich dann aber doch weitgehend aufs Vorprogramm, bei Gabriel selbst gab es wieder mal perfekten Pop: Mit Manu Katché und David Sancious spielt Gabriel die Hits von „So“ und den drei vorigen Soloalben. Mit dem weißen Blouson und feschen Haarschnitt sieht er wie Rick Astley aus, hat aber die größeren Gesten und natürlich die viel größeren Songs, zudem scheut er körperlichen Einsatz nicht. Er fällt zu Boden, rappelt sich wieder auf, greift nach den Sternen und krümmt sich zusammen – alles während eines Songs! „Live In Athens“ ist die restaurierte, vervollständigte Version des 1990er-Konzertfilms „PoV“, als Bonus-DVD gibt es auch noch die Compilation „Play“ dazu, die 23 legendäre Musikclips vereint. Danach ist man so erschöpft, dass man lange nichts mehr sehen will. (Eagle Vision) BIRGIT FUSS
Bryan Ferry Live In Lyon ***1/2
Nach seinem Album „Olympia“ unternahm Bryan Ferry im Jahr 2011 eine Tournee. Zwar ist er berühmt für schwüle Erotik und kühnen Ästhetizismus, doch seine Unterhaltsamkeit erreicht kaum Grade über Zimmertemperatur. Trotzdem fasziniert dieser Karrieredurchlauf mit so lasziven Lounge-Schwofern wie „Don’t Stop The Dance“ und „Slave To Love“, bizarren Versionen von „All Along The Watchtower“,“Like A Hurricane“ und „Jealous Guy“, dem fiebrigen „Reason Or Rhyme“ sowie „Love Is The Drug“ und „Avalon“ von Roxy Music. Ekstase verbietet sich bei dieser Musik, und Ferry -am Keyboard – bleibt im Herzen kühl. Die illustre Inszenierung ist ein Fest der Oberflächen, bei dem sogar Dylans kitschiges „Make You Feel My Love“ wie eine sinistre Lüge klingt. „I Put A Spell On You“ legt nahe, dass die Beschwörung der Liebe bloß Zauberei ist -oder ein Fluch. Sohn Isaac Ferry filmte außerdem die Aufnahmen von „Olympia“.(Eagle)
ARNE WILLANDER
Def Leppard Viva! Hysteria ***
Neuerdings spielen ja nicht nur Celine Dion und Cher, sondern auch Guns N’Roses und Mötley Crüe in Las Vegas. Da wollten Def Leppard nicht hintanstehen, und sie griffen gleich noch einen Trend auf: Die Briten spielten an elf Abenden im März 2013 ein komplettes Album durch – natürlich ihr erfolgreichstes, „Hysteria“ von 1987. Da das praktisch nur aus Hardrock-Hits besteht, haben sie leichtes Spiel beim Publikum. Die Riffs sitzen immer noch, die Gaga-Texte auch. Die bunten Projektionen (und der nackte, sehr muskulöse Oberkörper von Gitarrist Phil Collen) lenken schön davon ab, dass die Band insgesamt etwas hüftsteif geworden ist. Außerdem hat Joe Elliott einen schicken Sonnenbrand im Gesicht. Leider ist seine Stimme nicht mehr ganz so heiß, wie es das Wetter in Las Vegas offensichtlich war, er beißt sich aber ordentlich durch. „Viva! Hysteria“ gibt es auch als 2CD-DVD-Digipak.(Frontiers/Soulfood)
BIRGIT FUSS