Musikbücher von Wolfgang Doebeling

„Mr. S.: The Last Word On Frank Sinatra

(Sidgwick, ca. 28 Euro) von George Jacobs und Bill Stadiem zeigt uns Frankieboy aus der Sicht seines Dieners. Aus allernächster Nähe also. Vierzehn Jahre lang bediente Jacobs den Mann, den sie nicht von ungefähr „The Voice“ nannten, an strahlenden und scheußlichen Tagen, hinten und vorne. Es waren jene Jahre, die Sinatras Stern als Sänger sinken sahen, Jahre, in denen er zum Rudelführer der Society-Löwen avancierte, ander Spitze des Rat Pack, mit einer unglaublicher Chuzpe und kolossalem Frauenverschleiß. Jacobs, ein schwarzer Jude, war dabei, als 0l‘ Blue Eyes während eines Banketts unter dem Tisch ein Model vernaschte, als sich Grace Kelly eilig mit ihm in einer Kammer verlustierte, während ihr monegassischer Operettenfürst nach ihr suchen ließ, und als Judy Garland, eine alte Flamme aus den 40ern, zu oralen Sexdienstleistungen in Sinatras Haus in der Bowmont Avenue vorbeikam, sooft.dass der Beglückte kalauerte, man müsse die Adresse in „Blowmont“ umbenennen. Intimes und Indiskretionen, Namedropping auf höchster Ebene: Greta Garbo und Marlene Dietrich knutschend, John F. Kennedy koksend, Mia Farrow stoned. Jacobs liebte und bewunderte den egomanischen Sinatra, charakterisiert ihn aber schonungslos als Witzbold und Wüterich, als Charmeur und Rassist, als Kumpel und Tyrann. Die beruh rendste Episode dieser nicht selten bestürzenden Erinnerungen fand an Billie Holidays Sterbebett in einem Harlemer Hospital statt. Die Holiday bat Sinatra um einen letzten Schuss Heroin und der besorgte ihn, obwohl er Drogen verabscheute, Alkohol ausgenommen. Als der Stoff dann aber eintraf, war es zu spät. Sinatra, der Lady Day vergöttert hatte, war untröstlich. Wie war das nochmal: „Regrets, I’ve had a few/ But then again, too few to mention…“ 4,0

„The Amazing Secret History Of Elmore James“

(Bluessource Publications, ca. 45 Euro) von Steve Franz mag mit einem unnötig sensationalistischen Titel aufwarten, lässt diese Hypothek jedoch schnell vergessen. Faszinierend, mit welcher Detailfreude Franz zu Werke geht und einmal mehr beweist, dass auch ein ausgewiesener Fan qua sorgfältiger Recherche zu ausgewogenen Urteilen kommen kann. Das all den Pseudo-Historikern ins Stammbuch geschrieben, die ihr läppisches Halbwissen aus dem Internet zusammenklauben. Franzfüllt die rund 330 Seiten mit den Ergebnissen zäher Quellenforschung, zergliedert sie in zahllosen Fußnoten. Das behindert etwasden Lesef luss, begünstigt aber die Genauigkeit. Etwa in Bezug auf das Verhältnis des Slide-Pioniers aus dem Delta zu seinen Produzenten, die fruchtbare Verbindung zu Sonny Boy Williamson, die Live-Auftritte mit den Broomdusters und die Frage, wer „Dust My Broom“ denn nun wirklich geschrieben hat, Elmore James oder Robert Johnson. Franz beleuchtet den Lyriker, Gitarristen und Sänger, dessen Kunst als Katalysator wirkte für nachwachsende Generationen. Vor allem aber den Menschen Elmore James, der ein Getriebener war, eine tragische Figur, indem er just in jenem Augenblick starb, im Jahre 1963, als seine Saat endlich aufging, zuerst in London, dann im Rest der Welt. 4,5

„ThePeople’s Music“

(Pimlico,ca. 16Euro)von Ian MacDonald fasst 29 Artikel des neulich verstorbenen Musikkritikers in Buchform zusammen. Die Beatles, Stones, Beach Boys, Dylan und Hendrix werden erneut analysiert, aber auch John Fahey, Steely Dan, Randy Newman, Laura Nyro. Künstler.die Mac-Donald sehr am Herzen lagen, die er deswegen aber nicht schont oder gar verklärt. MacDonald gehörte in den 70er Jahren zu jenem Kreis von N ME-Schreibern, neben Nick Kent, Mick Farren und Charles Shaar Murray, der neue Standards im Musikjournalismus setzte. Dieser neue britische Typ des Kritikers war intelligent, gebildet, sprachverliebt und Rock ’n’Roll-vernarrt, er schaute hinter Fassaden, ergründete das Wesen von Musik, das Unwesen ihrer Vernutzung, die prekären Persönlichkeiten der Protagonisten. MacDonald, geboren 1948 in London, gehörte zu den kreativs-ten Köpfen dieser Kritikergeneration. Sein Essay „Exiled From Heaven“ über die ihm verwandte Seele Nick Drake ist eine Art Meditationsprosa, Folk-informiert und wunderbar formuliert. Gen Ende fragt der Autor: „Can it be that the materialist world view in which there is no intrinsic meaning, is slowly murdering our souls?“ Drake hatte das bejaht, MacDonald schließlich auch. Im August nahm er sich das Leben. 4,5

„Eight Miles High“

(Backbeat, ca. 24 Euro)

von Richie Unterberger trägt den vielsagenden Untertitel „Folk-Rock’s Flight From Haight-Ashbury To Woodstock“, ist die Fortsetzung von „Turn! Turn! Turn!“, nimmt den Faden 1966 auf und spinnt ihn weiter bis zum Ende der Dekade. Die Byrds/Dylan-Achse beginnt an Bedeutung zu verlieren, neue Namen wie Joni Mitchell oder Leonard Cohen entern das Tableau. Nützlich nicht nur für Nachgeborene. 4,0

„35 Years Of British Hit EPs“

(Music Mentors, ca. 28Euro) von George R. White dokumentiert die EP-Ara von 1954 bis 1969, als für die Extended Plays im UK noch eigene Charts kompiliert wurden, listet aber auch spätere EP-Veröffentlichungen im 7inch-Format. Für Plattensammler unentbehrlich, schon wegen der mehr als 600 Sleeve-Abbildungen. Eine Ode an die EP als ästhetisches Artefakt und die Antithese zum trantütig-anonymen Musikkonsum via MP3-Files. 4,0

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