Neil Young :: Americana

Neil Young spielt mit Crazy Horse alte Folk-Stücke im elektrischen Gitarren-Mahlstrom

Die ersten Töne, das sengende Muster aus zwei elektrischen Gitarren, dem Bass und dem Schlagzeug, verraten sofort die Handschrift: Hier spielen Neil Young und Crazy Horse. „I come from Alabama with my b-a-n-j-o on my knees“, knarzt Neil, und die treuen Knappen exekutieren den berühmtesten elektrischen Sound der Rockmusik. Seit „Everybody Knows This Is Nowhere“ tönt dieser archaische, fliegende, suchende Klang, ein Sehnen und Wogen, das sich mit „Zuma“, „Rust Never Sleeps“, „Weld“, „Ragged Glory“ und „Sleeps With Angels“ einbrannte.

Man spricht von Crazy Horse immer gönnerhaft als „Garagen-Band“, der besten der Welt freilich – aber wenn man nun die viele Jahrzehnte alten Stücke von „Americana“ hört, dann begreift man, dass das nicht stimmt. Crazy Horse spielen geometrische Figuren, sie entwerfen eine Topografie des Klangs, sie kartografieren das mythische Land Amerika. Die Weite und Verlorenheit in diesem an Instrumenten beschränkten Zusammenspiel ist einzigartig: In Jim Jarmuschs großartigem Film „Year Of The Horse“ kann man sehen, wie Frank „Poncho“ Sampedro und Young einander als spielende Bären umkreisen, mal der eine, dann der andere die Führung übernehmend, während Billy Talbot und Ralph Molina, die stoischen Fernfahrer des Rhythmus, unerbittlich voranprügeln. Songs wie „Powderfinger“ lehren: Im Wilden Westen darf man sich niemals umdrehen.

„Americana“ ist die absolute Crazy-Horse-Platte mit den absoluten Crazy-Horse-Songs. Stets wurden die Lieder Neil Youngs als Americana bezeichnet, als der Begriff noch nicht so selbstverständlich und überreizt war wie heute. Jetzt gönnen sich die Männer den Spaß, ausschließlich Songs zu spielen, die tief in der Folklore wurzeln und zu amerikanischem Gemeingut geworden sind. Auf diesem Gelände kennen Crazy Horse natürlich jeden Zaunpfahl, jeden Hügel und jeden Tümpel, und es ist eine Wonne, beim ausladenden „Tom Dula“ ihren Verzweigungen, Abschweifungen und Arabesken zu folgen. „Oh Susanna“, „Clementine“ und „High Flyin‘ Bird“ enthalten die schönsten Gitarrenflüge seit „Cortez The Killer“ und „Like A Hurricane“, „Gallows Pole“ kennt man schon als grimmiges Stück von Page & Plant. Der Frauenchor setzt den Kontrapunkt. „Wayfarin‘ Stranger“ gewinnt das Quartett eine ganz zarte, gespenstische Note ab, fast nur aus akustischer Gitarre und Chorgesang bestehend. Als treuer Untertan im Commonwealth beschließt Neil Young die Platte mit dem zünftigen „God Save The Queen„. Mit frommem Kinderchor.

Man mag bedauern, dass Neil Young für die kompakteste und faszinierendste seiner Bands keine neuen Stücke geschrieben hat. Aber es macht keinen wesentlichen Unterschied, woher und von wem die Songs stammen: Sie alle werden zu Stücken von Neil Young und Crazy Horse. Nur Woody Guthries „This Land Is Your Land“ ist eine zu lahme Schindmähre, um in mehr als gemächlichen Trab zu geraten. (Warner)

Beste Songs: „Oh Susanna“, „Tom Dula“

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