Pat Boone – The Sixties
Wie sich Bear Family Records seit über 20 Jahren bemüht, Pat Boone als eine künstlerisch und historisch bedeutende Figur in der ganzen Populärmusik des letzten Jahrhunderts zu rehabilitieren, hat auch etwas Rührendes. Dabei ist es letztlich gar nicht mal so schwierig oder unmöglich, den gern als großen Weichspüler des frühen Rock’n’Roll in Erinnerung behaltenen Sänger gegen seine Verächter zu verteidigen. Der sang zwar in seinen jungen Jahren buchstäblich fast alles von DooWop bis Gospel-Hymnen, von Country-Songs bis Irving Berlin, von Christmas Carols bis Surf Music, sogar Standards schon und 1961 auf dem Höhepunkt der Gattung Death Rock mit „Moody River“ einen Klassiker dieses Genres auch. (Eine LP benannte er allen Ernstes 1960 „This And That“!) Aber zum einen waren da die noch um einiges minderbemittelten Teen-Idole, zum anderen gab er als Crooner gar keine so üble Figur ab. Er war nur offenbar nicht immer in bester Gesellschaft, was die Vorschläge des für A&R-Belange zuständigen Managers bei Dot Records angeht. (Aber auch sonst wohl: In dem opulent ausgestatteten Buch bei diesem Box-Set ist er in Paris mit dem Eiffelturm im Hintergrund zu sehen, beim Besuch in Hamburg 1962 dagegen acht Seiten lang mit Vico Torriani, der ihm die – natürlich unverfänglicheren – Schönheiten der Reeperbahn zeigte.) Möglicherweise war es der unglaubliche Erfolg zu Beginn seiner Karriere mit diesen Cover-Versionen von Little-Richard-, Fats-Domino und anderen angesagten Songs, dass niemand bei Dot – anders als im Falle Everly Brothers oder Ricky Nelson und Elvis – auf die Idee kam, das eine oder andere Songwriter-Team anzuheuern, das ihm speziell maßgeschneiderte Kompositionen exklusiv lieferte. Remakes waren teils ja sogar die Filme, für die man ihm in den letzten Jahren des alten Studiosystems top billing gab. In die Verträge dazu ließ er sich Klauseln reinschreiben, dass er weibliche Co-Stars bei Dreharbeiten niemals küssen, geschweige denn mit ihnen ins Bett gehen müsse.
Dieser Geiz von Billy Vaughn (musikalischer Direktor der Plattenfirma) und Randy Wood (sein Produzent) zahlte sich letztlich nicht aus. Sich noch einmal an dem alten Hit „Unchained Melody“ zu versuchen, war i960 wohl nicht mal so eine blöde Idee. Die Grenzen seines Sangestalents fallen heute nach der fünf Jahre später von den Righteous Brothers eingespielten definitiven Version umso krasser auf. Gegen Ray Charles mit einer Version von „Georgia On My Mind“ (noch dazu mit geklauten Arrangement-Ideen) bestehen zu wollen, war schlicht vermessen, Elvis „Blue Moon“ hinterherzusingen nur doof, und zu glauben, dass die Welt nach dem ein Jahr zuvor von den Shirelles millionenfach verkauften „Will You Still Love Me Tomorrow“ auch noch seine Deutung brauchte, nur sehr schwer nachvollziehbar. Nach „Moody River“ wurde „Speedy Gonzalez“ sein letzter großer Hit – ein sogenannter novelty somg, jene Gattung, die sich bekanntlich dadurch auszeichnet, dass ausgefallene Ideen ausnahmsweise mal ein Lied zu einem großen Erfolg machen konnten. Aber zu einem so nie mehr wiederholbaren.
Möglich auch, dass es danach mit der Karriere des Sängers bergab ging, weil er so überheblich war? Verräterisch ist zumindest, dass es auch bei diesem Bear Family-Box Set erstmals zu hörende Outtakes gibt, aber praktisch überhaupt keine sonst en masse gebotenen Alternativ-Takes einer Session! Da muss jemand von Pat Boones Talent so maßlos überzeugt gewesen sein, dass er eine One-Take-Philosophie kultivierte, wie sie nicht mal Sinatra so konsequent durchzog! Anders als bei Elvis warfen die Filme auch praktisch keine Hits ab, nicht mal die nette Schnulze aus „State Fair“, eine der letzten Aufnahmen des Sets. Aus den Liner Notes erfährt man, dass er erst spät eine Las-Vegas-Karriere anstrebte, weil ihm die Spielsucht, der Suff und diese Oben-ohne-Shows dort ein Gräuel waren. Als er nach dem Erfolg von „State Fair“ doch in den berühmtesten Hotels aufzutreten begann, war er dort die Attraktion für sein angestammtes Publikum: Familien, die auch schon mal netterweise einen Dollar Trinkgeld gaben, von denen aber niemand soff oder sein Geld verzockte. Also genau das falsche Publikum! Weshalb ihn dort auch irgendwann niemand mehr buchte – ungefähr zum selben Zeitpunkt, als Dot seinen Plattenvertrag kündigte. Das war, wie jeder nachgeborene Zeitgenosse spätestens seit Scorseses „Casino“ weiß, in Las Vegas nun wirklich nicht die Klientel, die man damals dort schätzte.