Paul McCartney – Driving Rain

Wenn gar nichts mehr hilft, geht immer noch das Lob für Mc-Cartneys linkshändiges Bass-Spiel. In all den endlosen Jahren, die Paul uns mit „Pipes Of Peace“ und „Give My Regards To Broad Street“, mit Konservatorium und Liverpool-Oper, mit Vokuhila-Frisur und Vollwertkost quälte, blieb diese eine Konstante: McCartney, der halbe Schubert in Lennon/-McCartney, prägte mit seiner Linkshändigkeit die Beatles-Songs. Ohne Links kein „Yesterday“, aber auch keine „Ode To A Koala Bear“. In den Neunzigern gab es wieder Grund zur Hoffnung, insbesondere die „fabelhafte Tanz-Schaffe“ (W. Doebeling) ,Run DevilRun“, ein munterer Rückwärts-Galopp in die „Fifties“ (W. Doebeling). Diese Platte und die Heimkehr ins „Cavern“, das es ja gar nicht mehr gibt, waren zunächst bloß Zeichen von Sentimentalität und Selbstvergewisserung. Der rüstige Witwer verliebte sich noch einmal – offenbar vor allem in sich selbst. Die Haare kamen ab, Paul sah besser aus denn je (abgesehen vom Vollbart der „Let It Be“-Zeit).

Und da wir von 1969 reden: Bei aller Sympathie schien es wahrscheinlicher, dass Ringo sein Meisterwerk gelingen könnte, als dass Paul nur einen kleinen Teil seines Genies in dieses Jahrtausend retten könnte. Aber wer hätte vor ein paar Jahren auf Dylan gesetzt, auf Elton John, Johnny Cash, Merle Haggard? Sie alle haben die Elvis-Linie längst überschritten. Geld, Weiber und Drogen konnten sie nicht vernichten. Und so bitter es ist: Ohne Linda kann der brave Hausvater Paul wieder rocken (und wieder sülzen).

„Lonely Road“ ist fast ein Song wie „Lady Madonna“, „Back In The U.S.S.R.“ oder „Sgt. Pepper“, und Paul klingt am Ende fast wütend, er röhrt. „Don’t wanna walk that lonely road“. beteuert er wieder und wieder. Beim Feuerwehr-Festival in New York ließ er diesem großartigen neuen Song leider „Freedom“ folgen, eine verschnarchte, einfallsfreie Hymne. Auf ,Driving Rain“ folgt „From A Lover To A Friend“, eine hübsche, nicht zu verzuckerte Ballade im alten Stil, die Paul nun zur Benefiz-Single umgewidmet hat. „Driving Rain“ ist noch einmal Paul als Rocker, ganz nassgeregnet, ganz späte Beatles und ziemlich in Rage. Nur drei Musiker, noch dazu unprominente, brauchte er für die Aufnahmen dieser Songs. Das macht ihn nicht zu Iggy Pop, aber der Sound ist phantastisch, jedenfalls gemessen an dem Schlock von zwei Jahrzehnten und den oft bräsigen Wings. Als Lyriker und Reimekönig bringt Sir Paul natürlich oft Putziges hervor: „I’ve seen it, shining from the furthest stars/ Like Venus, soaring on her way to Mars…“ Shine on, you crazy diamond! Und das sonnige Gemüt diktiert ihm in „Back In The Sunshine“: „Well here we are, here we are, back in the sunshine again/ No more worries, no more worries, no more pain/ Take a ride, out to the land of free.“ Hare, hare.

„Heather“ und „Your Loving Flame“, durchaus anrührender Schmalz, beweisen überdeutlich, dass die neue Liebe den alten Sentimentalisten motiviert. Es ist aber zuvörderst die Liebe zur Musik – eine naturgemäß kitschige Feststellung, die nach James Last oder Andrea Bocelli klingt. „Driving Rain“ handelt jedoch von dieser Leidenschaft, die so lange Routine war, vom Unfertigen (siehe „Let It Be“, „White Album 1 *), von Wegen, die man nicht gehen sollte, und Einfällen, die nicht abgeschmackt sind und die eben auf die Beatles zurückweisen, so doof das ist: „I Do“ wie 1966! Ein kleines Streicher-Ensemble ergänzt schon mal die karge Instrumentierung, und der Songschreiber kommt bisweilen vom Weg ab.

Paul McCartney vermeidet jeden Schickschnack auf dieser Platte – und wenn auch „Spinning On An Axis“ skizziert und „Riding Into Jaipur“ eine orientalische Nonsense-Exkursion in der Tradition von George Harrison – albern wirkt: Was der Mann noch alles kann! Er weiß es natürlich selbst. „Rinse The Raindrops“, ein Stück von zehn Minuten, hat man als prätentiösen Bombast gefurchtet. Tatsächlich ist es der repetitive, zwingende und groovende Triumph dieser Platte. Zehn Minuten Ekstase. Zehn Minuten Rock’n’Roll. Run, Macca, run!

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