Ron Sexsmith – „Time Being“
Keine Elektronik-Spielereien, auch keine 70s-slickness. Das Überraschungsmoment des neuen Sexsmith liegt in der Rückbesinnung. Mitchell Froom, der die ersten drei Alben des songwriter’s songwriter so großartig in Watte gepackt hat, ist zurück. Ergibt Sinn, denn dieses Mal geht es um das grausame Verstreichen der Zeit, die Vergänglichkeit und darum, der Vergangenheit Erinnerungen abzutrotzen. „Time Being“ klingt tatsächlich – als hätte Ron Sexsmith der Zeit ein Schnippchen geschlagen – wie der direkte Nachfolger von „Whereabouts“, dem letzten Froom-produzierten Album von 1999.
Sie passen einfach gut zusammen, beiden liegen vor allem die langsamen bis mittelschnellen Stücke. Trotzdem ist Sexsmith natürlich weitaus mehr als ein verträumter Balladier. Denn erstens haben seine Songs eine naive existentielle Tiefe wie die besten Lieder von Brian Wilson, und zweitens ist sein Songwriting stilistisch wesentlich vielseitiger, als es auf den ersten Blick manchmal scheinen mag. Aufdem letzten Meisterwerk „Retriever“ kann man das hören, auch auf „Whereabouts“. seinem durch kongeniale Arrangements und Produktion wohl schönsten Album. Einer Soulplatte, wenn man genau hinschaut.
„Time Being“ beginnt erst mal unscheinbar. Natürlich herrscht vom ersten Ton an wieder das bittersüße Sexsmith-Sentiment. „Like a fool I’m reaching out, lord, to the hands of time.“ Shuffle-Rhythmus, E-Piano, ein sich langsam entwickelnder Bass-Groove. Schade, dass Johnny Cash nicht mehr ist. Danach „Snow Angel“. Ein Winteridyll. Roy Orbison. Schon schön, aber es klingt alles irgendwie zu vertraut für die Eröffnung eines neuen Albums. Erst „All In Good Time“ zieht das Tempo an, mit lässigen Gitarren, gedoppeltem Gesang, verspulten Gitarren und hymnischem Refrain. Der erste Höhepunkt. Dann „Never Give Up“, ein leichter Latin-Rhythmus, ein bißchen Paul Simon. Ein Popsong mit dem wunderbaren Titel „I Think We’re Lost“ schließt sich an, und man ist doch wieder froh, dass man ein neues Sexsmith-Album in den Händen hat. Bei Songwritern mit so großem Output ja keine Selbstverständlichkeit (vgl. Adams, Morrison et al.). Es folgen die stärksten Stücke: die Killerballade „Reason For Our Love“, das filigrane „Cold Hearted Wind“, das superbe „Jazz At The Bookstore“ mit Wendungen, wie man sie von Sexsmith so noch nicht gehört hat. Westcoast – „Blu-uues in the coffee shop“. Dann das schmissige E-Piano-Stück „Ship Of Fools“. Alles nicht so feinsinnig wie bei der letzten Zusammenarbeit mit Froom, erinnert „Time Being“ eher an das rootsige „Destination Unknown“. das Duettalbum von Sexsmith und seinem Schlagzeuger Don Kerr. Vielleicht auch gerade richtig, Songs mit so gewichtigen Themen etwas unaufgeregter darzubieten.