ROOTS :: von Jörg feyer
Wo der Kommerz regiert, darf das Nischenprogramm nicht fehlen. Die ästhetische Alternative zu Format-Denken und Fließband-Job. Gerade in Nashville sind viele erstklassige Musiker zu Hause, die sich zwar auch für „normale“ Country-Sessions verdingen, aber noch genügend Rest-Energie für eigene Projekte in meist kleinerem Rahmen aufbringen. So wie SAM BUSH und JERRY DOUGLAS, die jetzt parallel mit neuen Studioarbeiten aufwarten. Bush, dessen Mandolinenspiel von Newgrass Revival bis zu Emmylou Harris‚ Nash Rambiers hinreichend gewürdigt worden ist, empfiehlt Jiowlin‘ At The Moon“ (Sugar Hill/Fenn) und »Go With The Flow“ (Songtitel) als streßmindernde Maßnahmen, spielt sich mit kompetenter Begleitung (von u.a. Bela Fleck, Larry Atamanuik, Jon Randall Stewart) durch schwindelerregende Instrumentals, die „Funk 42“ und „Mr. Freddie“ heißen, scheut aber auch vor einer halbwegs gelungenen Akustik-Neuauflage von Steve Winwoods „Hold On“ (aus dessen 77er-Solo-Debüt) nicht zurück. Emotionaler Höhepunkt bleibt freilich „Song For Roy“, ein schöner, bewegender Nachruf auf Bassist Roy Huskey, Je, den Emmylou mit ihren Vocals adelt. 3,0
Anders als Bush, der selbst singt (und das bestenfalls passabel), holt sich Jerry Douglas für „Restless On The Farm“ (Sugar Hill/Fenn) lieber gleich gestandene Gast-Vokalisten, die der Einladung des Saitenvirtuosen gern folgten. Steve Earle ist die richtige Besetzung für eine fast desperate Version von Johnny Cash’s „Don’t Take Your Guns To Town“, Maura O’Connell macht erwartungsgemäß alles richtig mit Paul Bradys „Follow On“. Dennoch bleibt das Album eher eine Angelegenheit für Instrumental-Freaks, die gern hören, was sich jenseits stilistischer Schranken, zwischen Swing, Bluegrass und Blues, aus Dobro, Lap Steel und Weissenborn herausholen läßt Douglas wird sie, unterstützt von Sonny Landreth, kaum enttäuschen. 3,0
Auch Garry Tallent, den es nach dem Aus für Springsteens E-Street Band an die Ufer des Cumberland River verschlug, gehört zu denen, die in Nashville eher im Schatten der großen Music Row-Glitzerwelt agieren. Sein kleines Moondog-Studio, eher out- als downtown gelegen, hält nicht nur geographisch Abstand zum Big Business und ist vor allem zur ersten Adresse für Roots-Songwriter avanciert, die Seele und Phantasie nicht an der Garderobe des üblichen Country-Geschäfts abgeben möchten. Wie DUANE JARVIS (Watermelon/Fenn): Der Lucinda-Williams-Begleiter meldet sich nach vierjähriger Pause mit „Far Front Perfect“ (Watermelon/Fenn) eindrucksvoll zurück. Buddy Miller nicht unähnlich (der auch einmal Background singt), ist Jarvis der Synthese aus Country-Twang und R&B-Groove auf der Spur. Dabei beherrscht er das Coole, Schnoddrige („You Met Your Match“, „A Girl That’s Hip“) ebenso wie die richtige Portion Sentiment („Mr. Dependabilly“, „I’m Not Gonna Let You Break My Heart“). Zwölf Songs, kein Ausfall, alles brillant musiziert und gesungen, und mit rustikalem Low Budget-Punch produziert. Mit anderen Worten: „Far From Perfect“ ist verdammt perfekt. 4,5
Auch KEVIN GORDON ist bei Gary Tallent bestens aufgehoben, zumal sein schnörkelloser, teils Rockabilly-getünchter Blue Collar-Roots-Rock auf „Cadillac Jack‘ # 1 Son“ (Shanachie/Koch) nicht selten und gar nicht unangenehm an den Boss himself erinnert Eigenes Profil kann Gordon nicht zuletzt deshalb entwickeln, weil er seine Louisiana Roots nicht gänzlich vernachlässigt („Pauline“), juvenile Eskapaden („Over The Levee“) ebenso präzise einfangt wie unvermeidliche Entfremdung („Evan Pick Up The Line“), und Loser-Hymnen wie „Dissatisfied“ und „Heaven And The Hanging Tree“ den noch Strauchelnden und schon Gescheiterten eine glaubwürdige Stimme geben. 4,0
Als Musiker und zweifacher Co-Autor ist Gordon auch auf dem neuen, dritten Album von KATE CAMPBELL vertreten – und der sinistre Folk-Song „This Side Of Heaven“ und der abschließende Gospel „Sing Me Out“ gehören gewiß nicht zu den schwächeren Momenten von „Visions OfPlenty“ (Demon/Edel Contraire). Gibt es die überhaupt? Kaum. Erneut erweist sich Campbell als eine der vielseitigsten und versiertesten ihrer Zunft, sowohl hinsichtlich einer stilistischen Bandbreite, die selbst munteren Soul („Suit Yourself“) und flotten Folk-Pop („Funeral Food“) integriert, vor allem aber als Texterin: Formschöner Minimalismus („Deep Tang“) geht ihr ebenso gut von der Feder wie die weiter ausholende Stüdstaaten-Reminiszenz („Crazy In Alabama“). Und ein Song wie das herrlich absurde und dabei doch so wahre Jesus And Tomatoes“ hat Seltenheitswert. Nicht nur in Nashville. 4,0
Dort gehört, neben Tallent, auch R. S. Field, der bisher u. a. Webb Wilder produzierte, zu den Statthaltern eines kernigen Roots-Sounds. Sein neuer Schützling JAMIE HARTFORD, ein Sproß von John „Gentle On My Mind“ Hartford, fährt auf „What About Yes“ (Paladin/ARIS) vor allem knackige Twang-Rocker wie „Somebody’s Gonna Pay“ auf, weiß sich aber auch als liebestrunkener Balladeer zu behaupten, wie im schön-schläfrigen „Good Things Happen (When Ybu’re Around“). Hartford hat fast alles selbst geschrieben, doch zu den Höhepunkten zählt zweifellos die behutsame Neufassung von Steve Goodmans Mitt-70er-Oldie JLookin‘ For Trouble“. Derweil schlägt die feurige Harmonica von Paco Ship hübsche Schneisen durchs Saiten-Allerlei. 4,0
Und wir machen uns abschließend noch kurz auf den Weg zur Westküste, wo CHRIS HILLMAN mit „Like A Hurricane“ (Sugar/Hill/Fenn) unverdrossen und – nach dem 96er-Bakersfield-Tribute an der Seite von Herb Pedersen – wieder mit eigenen Songs an seiner Version von California-Country-Rock bastelt Für das perkussiv-emphatische Highlight „I’m Still Alive“ konnte er unüberhörbar sogar ex-Byrds-Gefahrte David Crosby als Harmonie-Sänger gewinnen. Und „Carry Me Home“- mit Jennifer Warnes in selbiger Funktion – erinnert ihn selbst an die frühen 60er Jahre, „before plugged in“. 3,5
Damals verbrachte Hillman pro Tag acht Stunden mit seiner Mandoline. Und schaffte dann endlich, im letzten High School-Jahr, den Einstieg bei THE SCOTTSVILLE SQUIRREL BARKERS. Gram Parsons soll gesagt haben, er hätte „mein rechtes Knie hergeschenkt“, wenn er bei dem Akustik-Quintett hätte mitmischen können. Wer „Blue Grass Favourites“(Diablo/Edel Contraire) heute hört, ahnt auch 35 Jahre später noch, warum. Leider ohne Bonus-Tracks. 4,0