Rumer :: Boys Don’t Cry

Gebremste Dramatik: Die Britin will die männliche Psyche ausloten, gibt den Wohlklang aber nicht auf

Was für grandiose Songs! Jedenfalls die meisten dieser zuerst zwischen 1970 und 1978 veröffentlichten Klassiker, die Rumer nun in Soft-Versionen gecovert und zu einem Konzeptalbum gestrickt hat: Jungens weinen zwar nicht, können aber auch Gefühle zeigen. Ihre Ambition war, „in die männliche Psyche einzutauchen“ und so etwas wie „eine Dissertation abzuliefern. Und um den Studienschwerpunkt einzugrenzen, wollte ich eine bestimmte Geschichtsperiode, ein Geschlecht und einen Stil nehmen und damit in die Tiefe gehen“. Wie sieht’s nun in der Tiefe aus? Kann man die unter der Oberflächenpolitur überhaupt erkennen?

Symptomatisch für dieses Album: Rumers Aufmacher wäre ja top, gäbe es die Urversion nicht. Jimmy Webbs Erwachsenenpop-Hommage an den Songschreiber „P.F. Sloan“ wurde 1970 vom ROLLING STONE zu Recht als „ein Meisterwerk, das man nicht verbessern kann“, eingestuft. Webb, der mit Anfang 20 als Verfasser von Millionenhits unter anderem für die 5th Dimension schon ausgesorgt hatte, heute aber, wie auch einige andere der hier versammelten Songschreiber, nur noch Kennern geläufig ist, hat es selbst sieben Jahre später noch mal vergeblich versucht. Da kann man Rumer ihre ehrfürchtig nachgespielte, bis auf ein kurzes, öliges Gitarrengegniedel geschmackvoll instrumentierte Coverversion auch nachsehen.

Bewegender war allerdings ihr spartanischer Auftritt neulich im englischen Fernsehen bei Jools Holland, als sie nur von Jimmy Webb fast schon Free Style am Flügel begleitet wurde. Aber ihre kuscheltrunkenen Fans haben sicher einen Schreck gekriegt, als Webb plötzlich mit Presswurstgesang dazwischenplatzte. Solche Irritationen gibt es auf dieser Platte natürlich nicht. Rumer singt alles in gleicher Gangart. Immer Wohlklang-Tonlage Nachtigall, manche mögen das gerne einfühlsam nennen. Schwermut ist ihr Parfüm. Dramatik mit gebremstem Schaum.

Mit „Flyin‘ Shoes“ wollte Rumer ins „Herz der Dunkelheit“ eines „Todesgospels“ eindringen, aber die Abgründigkeit von Townes Van Zandt erreicht sie natürlich nicht. Auch die bezaubernde Reihenhaus-Melancholie von Gilbert O’Sullivans „We Will“ gerät ihr zu gelackt. Songs, die im Original total unterschiedlich und manchmal auch etwas wacklig klingen, werden durch den Weichspülgang geschleudert und in milde Arrangements der Ära Bacharach, Carpenters, Elton John oder Dusty Springfield eingekleidet.

Die ihr aus Lokalpatriotismus ergebene Brit-Presse und das Rumer-Zielpublikum sahen das allerdings weniger kritisch und vergaben im Schnitt einen Stern mehr. Kaufinteressenten sollten übrigens unbedingt zur Special Edition greifen, die vier Songs mehr enthält, darunter als Glanzlichter die lässige Liegestuhl-Dekonstruktion von Bob Marleys selbstzufriedenem „Soul Rebel“ und die Klavier-Reduktion des Neil-Young-Klagegesangs „A Man Needs A Maid“. (Warner)

Beste Songs: „P.F. Sloan“, „Soul Rebel“

inkommensurabel | formidabel | delektabel | akzeptabel | miserabel

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