Ryuichi Sakamoto – Chasm
Ist Krieg etwa schon so alt wie die Schwerkraft? Nur ein Instinkt, den uns jagende Ahnen in die Gene gelegt haben? Muß, wer den Frieden liebt, auch den Bäumen seine Zuneigung schenken? Lieben wir, ohne zu denken? Fragen wie diese treiben Ryuichi Sakamoto auf seinem 15. Solo-Album um – und muten, im sanft pulsierenden Elektro-Pop „War & Peace“ von nicht weniger als 20 ineinander verblendeten Gaststimmen gestellt, gar nicht so dicke und zugleich banal an wie jetzt hier gedruckt.
Allein, daß der japanische Grenzgänger zwischen Klassik, Pop und Filmmusik sie überhaupt wieder formulieren kann, ist ja ein Schritt nach vorn. Denn zuletzt hatte sich Sakamoto im Duo mit Jacques Morelenbaum ganz auf die Rolle des Antonio-Carlos-Jobim-Interpreten zurückgezogen, „sehr frustriert und eingeengt, beim Versuch neue Musik zu schreiben“. Eine Blockade, für die immer noch 9/11 herhalten muß.
„Chasm“ löst diese Spannung über dem Abgrund nie wirklich, schreibt sie eher fort, in einem kühl konzipierten, aber auch verwirrenden Kaleidoskop Sakamotoscher Programmier-Fantasien, für die vieles als Rohmaterial taugt. Irgendein Taxi-Fahrer aus New York („Break With“), die Schritte einer Eugenah („lamento“), die metallisch entfesselte Gitarre von Keigo Oyamada in einem Stück, das nur „song“ heißt.“Ngo/bitmix“, mit der Geister-Stimme von Maucha Adnet, läßt die Jobim-Phase nachklingen, mit einem Bossa wie aus einem gestörten Transistor-Radio. In „+pantonal“ thronen verfremdete Chants von Thai-Mönchen auf dem Funk-Gerüst. Und das zarte Tremolo von David Sylvian in Bestform veredelt den geloopten Piano-Minimalismus des erhabenen „World Citizen“.
Eine Antwort hat Sakamoto übrigens auch noch gefunden: „Frieden ist unvorhersehbar.“ So wie der doch versöhnliche, an japanische Folklore andockende Schluß, den er ursprünglich als Musik für „Seven Samurai 20XX“ schrieb. Ist doch nicht etwa ein Kriegsspiel?