SHORT CUTS

FORMIDABEL

Zwei wundersame Singles und ihre letztjährige strahlend schöne Debüt-LP „Calling Over Time“ machten EDITH FROST zu einer der großen Entdeckungen der ausgehenden Dekade. „Telescopic“ (Drag City/EFA) ist kaum weniger beeindrukkend: Sanft schwellende Klangkörper traditioneller wie elektronischer Provenienz wechseln mit Picking und Fiddling, diffuse Melodien verdichten sich zu Feedback, und über den unwirklichen Soundscapes schwebt Frosts klare, kühle Stimme, entrückt und doch auf beunruhigende Weise intim. White Noise, Texas Blues, Existentialisten-Folk, lörch ohne Emphase, Songs voller dunkler Geheimnisse. Unwiderstehlich.

Die PINE VALLEY COSMONAUTS luden für ihr fabelhaftes Tribut-Album „The Majesty Of Bob Wills“ (Bloodshot) gleich ein Dutzend Gast-Vokaüsten ins Studio, von Alejandro Escovedo über Jimmie Dale Gflmore und Robbie Fulks bis zu selbiger Edith Frost. Auch die Mekons und die berüchtigten Waco Brothers sind mit von der Partie, beide Garanten dafür, daß es nirgendwo akademisch eng wird. Nicht alle auf den vier Seiten dieser Doppel-LP ausgebreiteten Tracks sind gleichermaßen gelungen, doch selbst die holprigeren atmen den Geist des Western Swing. Traditionspflege, wie sie lebendiger nicht sein könnte.

Alles andere als schematisch und stur ist auch die erste, nach ihnen selbst benannte LP von CLIFF EDMONDS & THE VIRGINIANS (MCG/Polygram). Edmonds ist Brite, ein Rock’n’Roll-Sänger mit Gefühl und Timing, und sein Stil orientiert sich stark am Dynamo-Bop von Gene Vincent und seinen Blue Caps. Natürlich ist Darrel Higham kein CüffCallup, doch zieht sich der Londoner Vorzeige-Gitarrist honorabel aus der Affäre, wie im übrigen auch die restlichen Virginians. Besonders hörenswert sind die „Adaptionen“ von Cliff Richards „Dynamite“, Dale Hawkins‘ „Suzie Q“ und Lennon/McCartneys „I Saw Her Standing There“. Bop ‚til you drop.

AKZEPTABEL

Wie eine Garagen-Version von Robert Gordon & Link Wray klingen VELVETONE auf „Vari-O-Sonic“ (OMD/Indigo) stellenweise, gröber und ungeschliffener als die Altvorderen, mit Mut zu grenzüberschreitenden Maßnahmen. Mississippi John Hurt gehört schließlich nicht zu den bevorzugten Materialquellen von Rockabilly-Bands. Gut auch der fette Twang von „Phantom Dog“, die hawaiianisch getönte Düster-Ballade „Moonstruck“ und das sehnige, stets willkommene „I’m Coming Home“ aus der Feder des großen Johnny Horton.

Eklektischer noch ist die Songauswahl von VINTAGE RIOT, auch sie aus deutschen Landen, auch sie im Rockabilly verwurzelt Leider muß man, um zur nicht unbeträchtlichen Substanz ihres Debüt-Albums vorzustoßen, erst mal den so unappetitlichen wie überflüssigen Title-Track überwinden: „Una festa sui prati“ (Twang!). Richtig, der alte Schmachtfetzen des öligen Italo-Clowns Adriano Celentano, aber auf albern getrimmt Partymucke für eine Party, der man gerne fernbleibt Danach beginnt es jedoch zünftig zu swingen, die Band laviert erfrischend frech zwischen Billy und Beat, zwischen Surf und den Sex Pistols, deren „Liar“ adäquat rotzig-raffiniert abgekocht wird.

Handwerklich ungleich gediegener und kommerziell in einer anderen Klasse spielen THE TRACTORS, deren Country-Boogie-Verschnitt auf „Farmers In A Changing World“ (Arista/BMG) freilich nur jemanden vom Sitz hauen kann, der sonst Nashville-Schlock vom Schlage Tim McGraw hört Gemessen daran sind diese Tractors-Shuffles ein Ausbund an Erdverbundenheit und Roots-Treue. Alles relativ. Bonnie Raitt und Leon Russell machen mit, ohne einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen. Dasselbe gilt leider auch für James Burton, Scotty Moore und DJ Fontana, die trefflich spielen auf „The Elvis Thing“, aber letztlich nur Staffage sind für die lyrisch arg pathetische Ode an den King. Durchwachsen.

Erfreulich frei von Schunkel- und Schmuserock ist „On A Day Like Today“(A&M/Polydor) von olle BRYAN ADAMS. Keine spanischen Gitarren, kein juveniler Bambi-Pop, erträglich wenig Hardrock-Klischees und, man staunt, weder Soundtrack-Schwulst noch überhaupt ein Schielen nach Feuerzeug-Schwenkern und Mitklatsch-Menschen. Der Titelsong gemahnt gar an Oasis, Text und Melodie ganz Gallagher, nur der Sound macht Konzessionen: Rock, gebremst.

Wie Neil Diamonds „Cherry Cherry“ beginnt „Little Johnny Shotgun“, der Opener zu „More Thagic Songs Of Life“ (Line) von BOB COLLUM, der sich zwischen knalligem Powerpop und gepflegtem Folkrock die jeweils passende Soundtapete für seine gar nicht tragischen, melodisch meist sehr hübschen Songs aussucht „Prozac bdel No. 9“ erinnert an Marshall Crenshaw und sogar ein bißchen an den frühen Elvis Costello. Anderswo wird Nick Löwe evoziert, Richard X. Heyman, die Plimsouls. Alles ehrenwert, alles mächtig gefällig.

Gefällig bis an die Grenze zum Kitsch ist zuweilen „The Trouble With Angels“ (River North/In-Akustik) von JUICE NEWTON, die ja diese Demarkationslinie gelegentlich schon überschritten hat. Auch hier ist manches nur schwer verdaulich, der Titelsong etwa oder „This Old Flame“. „Queen Of Hearts“ andererseits, Newtons 81er Hit, klingt flott genug, und zwei, drei andere Remakes wie „Angel Of The Morning“ und „The Sweetest Thing“ geraten zumindest nicht peinlich. Mehr war wohl nicht zu erwarten.

INDISKUTABEL

Ein wenig mehr hatte man indes von AMERICA erwarten dürfen, auch wenn die längst zum Duo geschrumpften Country-Rockveteranen schon seit bald 20 Jahren nur noch geschniegelte Mediokrität liefern. Traurig, bedenkt man, daß die Jungs einst „Cornwall Blank“ ausgeschwitzt haben und das extrem hübsche „Sandman“. Über die aktuelle LP „Human Nature“ läßt sich allenfalls vermelden, daß sie plätschert. In den seichtesten Westcoast-Gewässern.

Ein Vorwurf, den man den Berserkern von BLACK SABBATH noch nie machen mußte. Auch „Reunion“(Epic), ein Live-Doppel-Album von überwältigender Einfalt, läßt die Fetzen fliegen. Wo rohe Kräfte sinnlos walten? Ganz so einfach ist es nicht. Was Sabbath nicht abzusprechen ist und fraglos zu ihrem kretinösen Charme beiträgt, ist der Faktor Irrsinn in ihrer Musik und in Ozzys Blick. Der ganze pseudo-satanische Schwurbel, die Sturzbäche aus Schweiß und Bier, der stupide Populismus der Headbanger-Hymnen, Tonnen von Trockeneis, Fledermäuse auf der Flucht, das alles trägt zu einer Legendenbildung bei, deren Eigendynamik längst abgekoppelt ist von der musikalischen Potenz der „four dickheads from Aston, near Birmingham“ (Osbourne). Ohne Kommentar deshalb das Label-Info: Ihr Werk „only can be rivalled by the likes of Led Zeppelin, the Rolling Stones and the Beatles“.

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