Short Cuts :: von Wolfgang Doebeling

Formidabel: Texas-Country und Nashville-Pop sind derzeit weniger kompatibel als je zuvor. Erstaunlich mithin, daß einige Plastikschrott-Vferwertungsspezialisten in Tennessee die Ohren spitzten, ab die trendfremden Klänge von „The Girl Ybu Left Bebind“ aus dem Radio drangen und sich der klassische Country-Song von JA-NET LYNN gar zu einem Airplay-Hit mauserte. Dann aber auch doch wieder nicht so erstaunlich, denn Lynn singt auf dem gleichnamigen Album (Austex/Munich) mit jenem natürlichen Twang in der Stimme, der sich nicht erlernen läßt und der selbst oft gerösteten Kastanien wie Billy Swans JLover Please“ frisches Aroma verleiht und noch Willie Nelsons Fiddle-beschwingtes „Undo The Right“ veredelt Straight, aber soulfuL JOHNNY BUSHcovertauf „TalkTo My Heart“ (Watermelon/Fenn) ebenfalls den frühen Willie („A Moment Isn’t Very Long“) und er hat seine neue LP in Nelsons alten Padernales-Studios aufgenommen, doch leidet sein in Text und Musik lupenreiner Honky Tonk etwas unter der routinierten Glätte der Produktion. Was die Platte weit über den Durchschnitt hebt, ist Bushs genesener Bariton: getragen und stets stimmig, aber auch lebenserfahren und alles andere als dean.

usuallhi Seine letzte herausragende LP veröffentlichte BERT JANSCH1977 mit ^IRtntConundnmt“. Seither huldigt er dem Wohlklang, pflegt den virtuosen Umgang mit Tradition und Folk Rock, unfähig, eine schwache Platte zu machen oder auch nur eine schwächliche. „Tiry Baüoon“ (Cooking Vinyl) ist wieder grundsolide, Jansch zupft die Saiten im Halbschlaf, pflegt freundliche Zwiesprache mit Muse und Melancholie, und pflügt seine nicht besonders dekorativen, aber enorm widerstandsfähigen Songpflänzchen in einem Acker unter, den er mit Blues gedüngt hat und mit einer Schaufel Altersweisheit. Oder zwei.

Musik-ökologisch unbedenklich sind auch SHOW OF HANDS. Ihr aktuelles Studio-Albumheißt,yDto*fieü“ (TwahVEFA) und bietet neben einem manierlichen Dylan-Cover („Farewell Angelina“) und ein paar genuinen Traditionais die Eigengewächse des Duos, meist narrativ und den Vorbildern nachempfunden. Folgen wir der sinnigen Begriffstrennung, wonach Folklore Touristenfutter ist mit Trachten, Ringelpiez und Anfassen, Folk aber Kunst, so fallen Show Of Hands definitiv unter letztere Kategorie. Hörenswert.

Das gilt auch für die zum Trio geschrumpften HOTHOUSE FLOWERS aus Dublin, deren viertes Album nach fünfjähriger Abstinenz schlicht „Born “ (Motor Music) heißt, zunächst wie eine Totgeburt anmutet mit seinen sämigen Keyboards, läppischen Easy-Funk-fersuchen und Soft-Grunge-Verirrungen, sich dann am Ende doch noch als unterm Strich mehr als passabel entpuppt, dank gestandener Songs und Liam O’Maonlais nuancierten Vocals. Prätention pur signalisiert der Untertitel „The Poetry Of Rainer Maria Rilke“, doch umschiffen ANNE CLARK & MARTIN BATESauf Just After Sunset“ (Labor/Indigo) klug derlei Untiefen, indem sie den mäandernden Mystizismus der forlagen bewußt unterbelichten und dafür der Naturbetrachtung in Rilkes Gedichten mehr Beachtung schenken. Die Musik ist angenehm ätherisch und nur bisweilen leicht geschmäcklerisch und überladen, etwa wenn zum „Song Of The Sea“ auch noch eine Brandung vom Band rauscht Kunsthandwerk, aber anständig.

Ausgesprochen hübsch, wenn auch oft ein Tick zu betulich ist der halbakustische Country-Ausflug in die ^ßoftomlands“ (Bear Family) von SHADY MIX, einer ehemaligen Bluegrass-Combo in deutsch-amerikanischer Besetzung. Wil Marings Stimme besitzt die nötige Balance zwischen Charme und Sex, ist auf Randy Newmans „Louisiana 1927“ jedoch hoffnungslos überfordert: keine Säure, keine Harne, kein Spott. „Cash On The Barrelhead“ von den Louvin Brothers paßt da besser in die Landschaft, auch wenn man es schon mal fulminanter gehört hat (etwa von Emmy). Die Instrumente werden adäquat beherrscht Was fehlt, ist das Feuer.

Was man von den PRESIDENTS OF THE UNITED STATES OF AMERICA fürwahr nicht behaupten kann. Das Trio hatte Energie für drei Bands, allerdings nicht einen einzigen Song. JPeaches“? Pah! „Pure Frosting“ (Sony) ist quasi der Nachlaß, ein Sammelsurium aus Livecuts und Outtakes, sämtlich sinnfrei und, ha ha, albern, Pseudo-Grunge und Quasi-Punk, dazu Schlagzeug-Soli und Banjo-Gezeter, lärmig und ganz furchtbar ironisch. Nach dem Fasching ist vor dem Fasching.

Frenetischer noch und gänzlich unironisch poltern die schwedischen Punkrocker SILVERBULLIT halbwegs psychotisch durch die Tracks ihrer Debüt-LP (Clearspot/EFA). Die Bezugspunkte heißen Sonics und Stooges, die Songs „Boom Boom Boogie“ und „Raw Power Angel“, das Credo „You can’t have a revolution with die volume turned down“. Und so quengelt und quietscht es ergötzlich, die Riffs sind rotzig, die Texte taumeln zwischen Psychedelia und Pubertät, und das Vinyl beschert einen Bonus-Track. Eureka!

Gemessen an den zahllosen zahnlosen und völlig austauschbaren Boygroups, die derzeit synchronhüpfend alle Teenie-TV-Programme verseuchen, sind HANSON ein veritabler GlücksfalL „3 Car Garage“ (Mercury) dokumentiert „The Indie Recordings ’95 -’96“ der halbwüchsigen Brüder, jene Schaffensperiode also, bevor die Dust Brothers sich ihrer annahmen. Hier ist noch nichts soundtechnisch aufgemotzt, alles inclusive „Mtnmbop“ klingt holprig, naiv, frisch, lebendig. Die Antithese zu VIVA.

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Die einst semipopuläre Shoegazer-Schrammelband CURVE ist während ihrer längeren Abwesenheit in eine Art Quersumme aller aktuellen Popströmungen mutiert. „Come Clean“ (Universal) ist charakterloses, taktiles Karriere-Tuning, leider wohl nicht ohne Erfolgsaussichten. Garbage für Arme.

„What would it sound like if members of Genesis, King Crimson, Asia, Yes, Zappa, and Weather Report all got together to form a unique team just for one night?“, fragt das Cover zu „The Tokyo Tapes „(Camino/SPV) von STEVE HACKETT und gibt auf der Platte auch gleich die Antwort: aufgedunsen, grotesk, gräßlich.

Nicht halb so übel indes wie SAGA auf ihrem Live-Doppel-Album JDelours“ (Steamhammer/SPV), einer fatalen Allianz zwischen Hardrock-Monstrosität und Progrock-Pomp, prolliger Breitbeinigkeit und musikalischem Anspruch, Keyboard-Sülze und Eunuchen-GeheuL Schlimmer geht’s nimmer.

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